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ERICH BETHE
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DICHTUNG UND SAGE
ERSTER BAND: ILIAS
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VERLAG B.G.TEUBNER • LEIPZIG • BERLIN 1914
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COPYRIGHT 19x4 BT B. O. TBUBNSR IN LEIPZIO.
AXXB RXCBTB; MNSCHTJlCSSTilCH DES ÜBBRSBTZUNQSRBCBTS^ VORBSHALTBN
Wüünung Y
meine Dissertation, dem Kreise des Oidipus mein erstes Buch. Und
weiter hat mich diese Liebe meiner Kindheit durchs Leben begleitet
und freundschaftliche Bande mit Männern wie G. Loeschcke und
J. Wackemagel enger gebunden.
Jetzt, da ich die Ernte berge, wenden sich meine Gredanken
Wieder zu Dir, liebe Mutter. Du hast auch diese Saat gestreut, die
unter des Vaters Schutz und gepflegt von jenen verehrten Männern
langsam aufgegangen und still gereift ist Nach einem halben Jahr-
hundert fast lege ich sie Dir, der Vierundachtzigjährigen, dankbar
in Deine lieben, immer noch fleißigen Hände,
, An Vaters Geburtstag
21. Mai 1914
InhalUüberticht IX
Seite
— Sein Tod 318 — Kampf um Patroklos' Leiche 321 — Hektors
Tod 323 — Analyse des X : 327 — Inhalt des Menisgedichts 333.
21. KUNST UND ART DES MENISGEDICHTS 334-34»
Sein Aufbau — Alte Oberarbeitungen 337 — Knappheit, dramatische
Kunst 339 — Qeichnisse selten und kurz 340 — Götterapparat
342 — Heldenliste — Streitwagen 343 — Umfang 345 — liedstil
346 — Synunetrie 347.
22. UNSERE lUAS UND IHR VERFASSER 348-369
Einzellieder unter Voraussetzung der Menis gedichtet — Freie
Kleinepen 351 — Der Verlasser unserer Dias wollte nur berühmte
alte Gedichte zusammenfassen 352 — Das Menisgedicht als Ge-
rüst unserer Ilias 353 — Sorgfolt der Verarbeitung 357 — Compo-
sitionskunst 359 — Verklammerung der einzelnen Teile 360 —
Handlung auseinandergezerrt — Götterapparat 362 ~ Apoll 364
— Heldenliste 365 — Nestor 367 — Hervortreten der Weibhchkeit
368 — Feste Geschlossenheit unserer Ilias 369.
WORT. UND SACHVERZEICHNIS 37o— 37a
STELLENVERZEICHNIS 373—374
NACHTRAG
Zu S. 263 und S. 291 : Die anerkannt unursprünglichen Conjunctive auf -qjct
kommen in der Uias nur A 191 und 60 ff vor. Sie bestätigen also das Resultat
meiner Analyse, die beide Stellen dem letzten Iliasdichter, dem Verfasser unserer
Dias zuteilt Jakob Wackemagel gedenkt auch über diese Formen in seinem Homer-
buche Genaueres zu bringen.
Ich benutze die Gelegenheit, ihm auch öffentlich meinen herzlichen Dank zu
wiederholen für das warme Interesse, mit dem er diese Untersuchungen seit Jahren
verfolgt hat, und für seine Güte, sogar die Correctur zu lesen, was meinem Buche,
wie sich bei solchem Corrector von selbst versteht, nicht nur äußerlich zugute
gekommen ist.
ERSTES BüCHf/-ypRFRAGEN
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ERSTES STÜCK
• .-.r ••. .
LEBENDIGE EPIK UND BUCHEPOS
Das Homerische Epos steht am Anfang der griechischen Literatur,
aber es ist nicht ihr Anfang. Es trägt die Spuren langer Geschichte
an sich. Sein Stil, einheitlich in allen Teilen der Uias wie der Odyssee,
setzt lange Übung voraus. Die Kunst seiner Composition, die unge-
heure Massen übersichtlich ordnet, ist nicht begreiflich ohne die An-
nahme früherer Versuche kleineren Umfangs; seine Sprache ist ge-
mischt aus ionischen und aiolischen Formen und enthält sehr alte Be-
standteile neben recht jungen^; sein jetzt nur für Recitation geeigneter
Vers hat Analogien in daktylischen Reihen lyrischer Lieder, und die
eigentümliche Freiheit seines ersten Fußes kehrt auch in aiolischen
Liedmaßen wieder.*
Solche Schlüsse aus der Form bestätigen urkundlich einige An-
gaben des Epos selbst über den musikalischen Vortrag und den ge-
ringen Umfang älterer Heldenpoesie. Diese Selbstzeugnisse zu be-
achten und zu bedenken, ist die erste Aufgabe jedes, der in die Ge-
schichte des Homerischen Epos einzudringen strebt; denn sie allein
geben feste äußere Anhaltspunkte.»
Ein berufsmäßiger ,Sänger', ein iotböc» sang, wie die Odyssee
schildert, zum eigenen Saitenspiel Heldenlieder nach dem Mahl den
zechenden Herren im Saale des Fürstenhofes. Das verbietet, an lange
Gedichte zu denken. War der Sänger geschickt und wußte er seine
Hörer zu spannen, so konnte er sie wohl einmal eine längere Weile
* J. Wackernagel, Göttinger Preisverteilung 19 13, S. 6.
' U. V. Wilamowitz, Hom. Unters. 409. W. Schulze, Quaest Epicae 371 ff wies
Tid mehr dx^qxiJU)! nach. Auch zu den ^cioupo( vergleicht er (430 ff) Alkaios frg.
152. Vgl. O. Schroeder, Vorarbeiten zur griech. Versgeschichte 31 ff.
• Vgl F. A. Wolf, Proleg. c. 26. F. G. Welcker, Episch. Cykl. I 3i6ff. Th. Bergk,
Griech. Lit-Gesch. I S und 487.
B«tb«» HooMT I
Kurze Heldenlieder beim Mahl, Aoiden
aufliegt wurde die Heldensage in kleinen, in sich abgerundeten Lie-
dern von einem Sänger vor einer Zuhörerschaft gesungen, die von
der Sage im allgemeinen wußte, so daß ohne weiteres an sie an-
geknüpft werden konnte.
Die Odyssee gibt die Vorstellung, daß ein Sänger zu jedem fürst-
lichen Haushalt gehörte und die Ergötzung der Gäste nach dem Mahl
durch ihn das Gewohnte war. Am Hofe des Alkinoos singt der
blinde Demodokos, in Ithaka singt Phemios den Freiem. Die hatten
den Heldensang nicht missen wollen (x 353)9 und bei den Phaiaken
versichert Odysseus, es sei das Lieblichste, bei Schmaus imd Trunk
einem guten Sänger zu lauschen (13—11). Sie singen von der Er-
oberung Ilions (6 500), von der Heimkehr der Achaier (a 326), vom
Streit des Odysseus und Achill (9 75), und wenn Penelope a 338 all-
gemein ,die Taten der Götter und Männer^ als Sto£Fe der Aoiden
bezeichnet, so entspricht das dem Inhalt der Epen Homers und He-
siods. Diese Aoiden üben ausschließlich die Kirnst des ,Gresanges'
aus. Keinem andern fallt es ein, statt des Aoiden zu singen, selbst
keinem Phaiaken, denen doch ,Lauf, Schi£Fahrt, Chortanz und Kitharis
lieb sind* (6 248). Da sie es selbst nicht können oder mögen, zwingen
die Freier der Penelope den Sänger Phemios, ihnen durch seine
Kunst das Mahl zu verschönen. Daß einmal Achill zur Phorminx
ydenRuhm der Männer* singt (1 189), spricht nicht dagegen. Erliegt
zu Felde, da ist kein Aoide. Dieselben Verhältnisse finden wir in
der Wander- und Heldenzeit der Germanen. Da singt auch einmal
der Vandalenkönig Gelimer selbst, als er 533 in der numidischen
Bergfeste eingeschlossen ist (Procop. bell. Vandal. II 6), oder König
Gunnar im Schlangenturm (Edda 28; Drap Niflunga). Ein Sänger-
stand, wahrscheinlich nach ostgothischer Sitte, ist aber schon am
Hofe Etzels 448 bezeugt, und noch die Eddalieder wurden nur von
berufsmäßigen Sängern gesungen«^
* Vgl A. Heusler, Lied und Epos in ^rman. Sagendichtung, Dortmund 1905,
and J^eutsche Dichtung* in Hoops Reallexikon der German. Altertumskunde.
Sänger vor Etzel, seine Taten preisend, schildert Priscus Hist Goth. 265, 11 ed.
Bonn. ■» Exoerpta de legat. I 144, 30 de Boora-FHG. IV, p. 9a. Übrigens ist
keineswegs sicher, daß der Dichter bei Schilderung des singenden Achill I 1S9 gerade
an Heldenlieder in der Art der Aoiden gedacht habe, da er hinzufugt, Patroklos
habe schweigend gegenübergesessen, ,den Aiakiden auüunehmen, wenn er mit dem
Aoiden. Ritter und Volk
merkt hat: ein Blinder hat dies gedichtet Ihrer gab es viele im
Sangerstande/ Dauerndes Unterkommen an einem Fürstenhofe wird
die Sehnsucht der Aoiden gewesen sein« Fand sich das nichts so
nngen sie auf anderen Höfen, oder von Hof zu Hof, und wo sonst
man sie hören mochte und Gewinn in Aussicht stand. Gewiß ist die
Homerische Poesie keine Volkspoesie, weder vom Volk hervorge-
bracht oder gesungen, noch für das Volk gedichtet, sondern eine
sehr bedachte und fein ausgebildete Kunst, die sich an Vornehme
wendet, Könige und Ritter feiert und sich imi die kleinen Leute
kaum kmnmert Aber man darf im gesunden Widerstreit gegen jene
romantische Vorstellung vom dichtenden Volke auch nicht den Ge-
• gensatz zu sehr übertreiben. Ein Unterschied geistiger Bildung kann
in älterer Zeit zwischen hoch und niedrig bei den Grriechen so wenig
bestanden haben, wie es bei den Germanen der Fall war. Die Ge-
bildetsten waren zweifellos die Aoiden, aber sie gehörten der Nie-
drigkeit an. Was sie sangen, war auch dem Volk verständlich. Und
gern hört es allezeit von Königen und erschütternden Ereignissen.
Es ist eine verkehrte Vorstellung, daß das Volk von sich selbst und
seinem Alltagsleben und Nöten und Mühen hören wilL An Glanz
und Herrlichkeit erquickt es sich, die es nicht besitzt, an kühnen
Heldentaten begeistert es sich, die es gern tim möchte, an fernen
Wundem und Ungeheuern und Gefahren freut es sich, die es nie
gesehen. Das ist heute noch so, wie es früher war. Schilderung der
gemeinen Not und des Elends erscheint nur in Überkulturen und ist
Speise für überreizte Gaimien, aber nicht für die Armen und Be-
druckten selber.
Die al^ermanischen Sagen und Heldenlieder sind nicht durch
höfische Sänger erhalten, sondern dadurch, daß das Volk sie liebend
aufnahm. Auf Jahrmärkten und durch Bänkelsänger haben sich Sieg-
friedlieder noch lebhaft fortgepflanzt, als das letzte höfische Helden-
gedicht langst vergessen war, und auf Islands Bauernhöfen klangen
die Lieder der Skalden, die die alten Stoffe und Formen bewahrten
und uberkünstlich ausbildeten. In billigen Drucken soll heute noch
der Kolporteur die Geschichten von Roland und Karl und seinen
* Demodokos, der Sänger von Chios (H. H. I 173), Homer, sie alle sind blind.
Auch unter den serbischen Berufssängera sind oder waren so viele Blinde, daB
von Blindenliedem sprach (A. Leskien).
Ausgehende Epik, KUinepen
den Städte mit Ausnahme der attischen versprechen läßt U. v. Wila^
mowitz hat daraus mit unbezweifelbarem Recht geschlossen, daß
dieser Dichter unsere Ilias in der vorliegenden Form gelesen hat,
die B 557f der Ilias entgegen, den Aias zmn Salaminier macht und
diesen Haupthelden in zwei kurzen Versen dem mit elf Versen ge-
feierten König von Athen Menestheus anhängt, der sich auch in
jenem Katalog der Helenafreier durch besonders reiche Gaben her-
vortut Nicht nur den Besitz von Megara, auch von Aigina und
Korinth ohne weiteres als sichere Beute des Herrn von Salamis
hinzustellen, wie es dieser Dichter des Freierkatalogs tut, war nur
in der Blüte der Peisistratidenherrschaft oder um 450 möglich.
Die Vortragsgelegenheit solcher Gedichte kann man sich nicht
wohl anders denken, als wie sie die Odyssee schildert Im Megaron
des großen Herren recitirte der Dichter sein Werk den Geschlechts-
genossen, deren Sage er gestaltet hatte, und fand er Beifall, so trug
er wohl auch mehr vor aus dem Schatze seines Programmes. Und
wie in alter 2^it waren auch diese Gedichte klein an Umfang. Das
Milieu verlangfte das und die Reste bestätigen es.
Der Schild des Herakles — nicht älter als das sechste Jahrhun-
dert — ist in der vorliegenden Form zweifellos für den Vortrag aus
seinen drei Bestandteilen zurecht gemacht worden, er will ein Ganzes
sein und ist es doch auch. 480 Verse enthält er.^® Keine Eoie dürfte
wesentlich länger gewesen sein. Aber auch wenn eine doppelt so
lang war, ließ sie sich immer noch bequem nach dem Mahl vortragen,
ihre Hörer vertrugen auch wohl noch ein weiteres Stück. Die Theo-
gonie und die Werke und Tage, sicher nicht ganz in ihrer ursprüng-
'* VgL V. Wilamowitz, Herrn. XL (1905) 116. 2^itbestiixunung 123. Doch glaube
ich im Gegensatz zu ihm S. 122, daß ursprünglich die Dichtung nur das Kyknosaben-
teuer schilderte ohne den Anfang aus der Eloie i — 56 und ohne die Schildbeschrei-
bong 141 — 317. Denn die erste Rede des Herakles zu lolaos 79—94 hat m. £.
lucfat den Zweck, nur die Angaben der Eoie i — 56 zu ergänzen, die ja z. T. wieder-
holt werden, sondern sie sollte den Hintergrund zeichnen, ein Stück Exposition —
ungeschickt genug — geben, das Verhältnis des Herakles zu seinem Wagenlenker
lolaoi und des Kyknoskampfes zu den zwölf Taten erklären. Daß die Schildbe-
schreibung eingelegt ist, zeigt 3i8<xjI4o. Der Anfang des ursprünglichen Gedichts
ist bei der Anarbeitung an die Eoie 57 ff verloren gegangen. Eis hatte also in seiner
Urgestalt etwa nur 230 Verse gehabt. Dennoch war es auch damals in sich völlig
:.':. Lr}.nuiff ^^^^fj^a^
V
. ^-„c^^ al* ^e Hesiod gedichtet, haben
li.Vn F.rr-. .-...:« ti=c ^-=f '. ^ ^4 ^^ ^^, beim Herren-
^— ■ ------■'-:: "rM;.iS^^ Helikon. Auch für Agone
..- --^---f-::t-.;r/^;^ kleineren Umfengs geeignet und
..:>ln s.-..s--y-- l3v_i,^£eTts oder gar noch länger.
IVs :..••-. -----e ;-.« ä*.->.e- -'*-^^ I^ „nd unsere Odyssee,
-'V'-" • "•'- T:"l''^^lr-.^^^-*n. 5i=d noch in der alten Weise
s.h.:-. .c-.*".r-.-cr. ^... ^^^^-'^'-^ ^^^^ sjedichtet worden, so-
kur:e ö,n...-:o vor.e~.ivr. -;----. J ^Uieb also, daran ist
-"'••• - •-.•■•'■ ■-.: v'-. -----r Jedenfalls im Mutterlande noch
.,., -e.. ^^- ..^ .^-^~- • -=c ~.i ^\i:^- -och nach ihrem Abscwu»
:;;;.;■■;■::,:; ":T:;..-« r.ch w:e vor Gediehe rum unmitteU.
"" v ;•;:.".; :w-irc^>- ^.daSäe nicht hätte« bequem
. \ . - w .v... ^ V -• .'-— <elben Öhren recitirt wer-
-^ ^- ■: ^^ ip nach W iinsch nocn
\ . . , . ,.„ : .^ V .■•»-5_ ;<• für das Verständnis
vV- l-V-V^ .V. ^'s-V^v .. ... : v.^ vssee vo= CToßer Bedeutung.
A^i <,_. .K,_. *..-.... vi-^x'*' -.-v,..'-^.. --:e:e immernoch die alte
rr.j»r..>.» .. :.,.^.. *x^.* '- 5... V»-' ',."'"'•> TT. iT. sicherlich im Mutter-
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ei^^eutlu'h ..iuMat..i,u ...a ..... .X.-.' ,,,. w^, ., ^ """ ^^ erKe
KUnupos und Großepos 1 1
haben? Diese Fragen sind sehr ernst, sehr unbequem. Desto uner-
laBlicher ist ihre Beantwortung.
Blas und Odyssee stehen durch ihren ungeheuren Umfang zu dem,
was der Aoide brauchte und das Publikum verlangte, in schroffstem
Gegensatz. Sie sind unteilbare Einheiten und tragen ihre Einheit-
lichkeit zur Schau. In einem einzigen Zuge geht die Ilias wie die
Odyssee dahin ohne Pause und ohne Abschnitt vom ersten bis zum
letzten Verse. Kein Teil, der nicht irgendeinen Bezug auf die vor-
liergehenden hätte, der nicht ohne diese unverständlich bliebe, kaum
eine Stelle, die nicht auch äußerlich durch irgendeine Wendung,
wenn auch nur durch eine Partikel, mit den vorhergehenden verknüpft
wäre. Die Dichter der Ilias imd Odyssee wollten ihre Epen als
einheitliche Werke angesehen wissen« Wieviel Mühe sie sich den
Aufbau und die Verkoppelung der Teile haben kosten lassen, werde
ich alsbald darzulegen haben.
Selbstverständlich ließen sie es nicht an klarer Gliederung der
Massen fehlen. Die Dreiteilung der Odyssee a — b, e — jliv, v — tu
hat sich auch den Homerkritikem aufgedrängt, die Disposition der
Uas ist desto hartnäckiger verkannt Aber je deutlicher man sich
die planvolle Anordnung und Einteilung beider Epen vergegenwärtigt,
desto klarer tritt die Absicht ihrer Dichter hervor, die Fugen nicht
zu Pausen zu benutzen, sondern sie möglichst zu verschleifcn, so daß
man zweifelt, wo man einhalten soll. Nur sehr selten ist ein wirk-
licher Einschnitt vorhanden.
Der zweite Teil der Odyssee hebt mit e i in der Tat von neuem
ao, und er könnte ohne a~b jedem Unbefangenen bis zum Schlüsse
des \k als selbständiges Gedicht vorgetragen werden, das sich ihm
ans sich selbst erklärt. Aber zwischen dem zweiten imd dritten Teil
ist eine Scheidung unmöglich. Denn v i schließt mit iSic fqpaO*, ol
fc* 2pa irdvTCC unmittelbar an Odysseus* Apologe an, es folgt seine
Hranfahrt, dann die Bestrafung der Phaiaken durch Poseidon bis
V 187, und mitten in diesem Verse springt der Erzähler zum letzten
Teil, Odysseus' Abenteuer in Ithaka, über: 6 b* fTPCxo öToc *Oöucc€uc
dSteiv £v taiq Trarpiüir).
In der Dias bilden die Achaiersiege T— H einen klar begrenzten
Teil, der durch den feierlichen Eidschwur für den Zweikampf des
Alezandros und Menelaos und die Verhandlung über die beschworene
lUtu und Otfyssee sind Buchepen 13
nicht scharf genug betont werden: gerade das, was Ilias und Odys-
see, um nur von bekannten Größen zu reden, auszeichnet, das er-
folgreiche Bestreben, eine ungeheure Masse von leicht zu vereinzehi-
den Geschichten zu einer straffen Einheit zusammenzufassen, gerade
das machte sie für den lebendigen Vortrag bei Mahl und Agon lui-
brauchbar. Denn auch der Agon fordert wie die Unterhaltung nach dem
Mahle in sich abgerundete Gedichte beschränkten Umfangs. Nur
wenn jeder Preisbewerber nach freier Wahl das vorträgt, womit er
den größten Erfolg zu erzielen hofft, ist ein rechter Agon möglich.
Jedenfalls können nur so sich die Rhapsodenagone gebildet haben.
Das lieg^ in der Natur der Sache. Die tragischen und lyrischen
Agone bestätigen es.
Nicht also für den praktischen Gebrauch der Rhapsoden sind die
Giroßepen geschaffen, sondern aus künstlerischem Bestreben als L i t e-
raturwerke. Ihre Massen beherrschende, mit sorgfaltigem Fleiße
helgestellte Einheitlichkeit ist praktisch wertlos, weil sie real nicht
darstellbar ist Hat doch kein Mensch jemals 24 Bücher hinterein-
ander vortragen können, und schwerlich hätte sie jemals einer
ohne Pause anzuhören vermocht Ihre Einheitlichkeit ist durchaus
ideaL Denn auch ein Leser kann solch ungeheures Epos nicht in
einem Zuge bewältigen, am wenigsten ein damaliger Leser. Ilias
und Odyssee und die anderen verlorenen Großepen sind nur aus
künstlerischem Drange nach umfassender einheitlicher Formimg
einer überreichen Sage hervorgegangen.^*
Dazu steht keineswegs die Überlieferung im Widerspruch, dafi
Dias und Odyssee von Rhapsoden vorgetragen sind. Zur Zeit Piatons
waren diese Epen in der uns vorliegenden Form allgemein durch-
gedrungen, wie die Tatsache beweist, daß eine wirklich abweichende
Fassung auch der zweifellosen »Fälschung^ B 546 — 558, die Athen
und Marathon breit feiern, um Aias von Salamis gewissermaßen
als Vasallen Athens in zwei Versen anzuschließen, schon im vierten
Jahrhundert nicht beigebracht werden konnte.^' Damals konnten also
mcht gut die Rhapsoden etwas anderes geben als eben imsere Ilias
und Odyssee. Wichtig aber ist, daß schon im sechsten Jahrhundert
*' Zuerst hat sich öffentlich etwa in diesem Sinne meines Wissens ausgesprochen
▼. WUamowitx, Kult d. Ggw. I 8^ (1905), S. 8 f.
" V. WUamowitx. H. U. 243.
LudsHl an Pindar P. IV erläutert 17
lonios doch von Homer den epischen Stil gelernt Hier kann man
am bequemsten vergleichen.
Pindar erzählt die Sage im vierten Pythischen Liede zu Ehren
des Königs Arkesilaos von Kyrene. Die Verbindung gibt ihm eine
Prophezeiung Medeias über Kyrenes Besiedelung. Nach ihrer brei-
ten Ausfuhrung imd nach kurzem Preis des kyrenischen Königsge-
schlechtes kündigt er Vers 68 mit jäher Wendung sein Thema an:
die Heimholung des goldenen Vließes. Nun beginnt die Erzählung.
Den Übergang gewinnt er diu-ch die Fragen
70 TIC Toip dpxoi öäaTO vauTiXiac;
TIC bi Kivöuvoc KpaTcpoic död^avToc bficev &Xoic;
Sofort die Antwort: 8^c9aTov f|v» daß Pelias den Tod von Aioliden
finden werde» er solle sich hüten vor dem Manne mit einem Schuh
(72—78). Unmittelbar daran schließt der Dichter ,und er kam, ein
gewaltiger Mann«. Das Volk staunt ihn an, Pelias sieht, ihm fehlt
ein Schuh (95). Frag« und Antwort (102 — 119). Den wiedererkannten
Jason nehmen freudig Vater und Vettern auf. Endlich gehen sie zu
Pelias, und Jason fordert von ihm sein rechtmäßiges Erbe (138 — 155).
Pelias antwortet mit dem arglistigen Auftrage, das goldene VlieB
VOL holen (bis 167). Diese Erzählung ist nicht kurz, aber sie hebt doch
nur das Wesentliche hervor: die Erscheinung und den Eindruck des
Heldenjünglings, seine Leg^timirung, seine Forderung, den Auftrag
des Pelias. Keine Schilderung des Milieus oder des Schreckens und
des Brütens des Pelias. Ebensowenig hält sich der Dichter beim
Bau der Argo auf. Aber die Fahrtgenossen werden genannt (171)
and kurz die Ausfahrt unter glücklichen Zeichen erzählt (200). Mit
wenig Worten wird die Fahrt abgetan, 2 1 1 sind wir schon im Kol-
cherland. — ApoUonios dagegen, der die von Pindar mit liebevoller
Kunst ausgeführte erste Scene verschmähte, braucht über 200 Verse
fir den Heldenkatalog (I 23 — 233), und nachdem er Abschied (234
Ms 316), Wahl des Führers (317 — 362), Flottmachung des Schiffes
(363 — 401) erzahlt hat, schildert er das Opfer vor der Abfahrt in fast
50 Versen (402 — 449), dem er einen Schmaus mit Gesang des Orpheus
anschließt, um endlich 518 zur Abfahrt selbst zu kommen und die
Argo bis 602 nach Lemnos zu fahren. Nicht daß er mehr erzählt, ist
das Wesentliche, sondern daß er dasselbe, was Pindar knapp hin-
B«ck«, HoMar 2
L -
Uedstü an Bakchylides XVI erläutert 19
nur im letzten kleinen Satze wendet er sich an den Delischen Apoll
und bittet um Segen für die Freude, die ihm dieser Chor der Keer
mache. £s ist also analog, nur in umgekehrter Folge, den Homervor-
tragen an Gotterfesten, wie sie Thukydides III 104 kennt: auf ein
Prooimion für den Festgott folgte ein Homerisches Heldengedicht.
Bakchylides beginnt: ^in dunkles Schiff führte Theseus und zweimal
sieben Athenerkinder über das Kretische Meer mit günstigem Winde,
den Athena gesandt' Dieser einzige Satz genügt ihm zur Exposition
für seine Hörer. Im zweiten beginnt er die Handlung: Minos vergreift
I sich liebebetört an Eriboia, sie schreit auf, und Theseus stellt den König
t zur Rede. Meisterhafte Kürze. Noch nicht ganz die erste Strophe,
I kaum sechzig Worte sind bisher verbraucht. Theseus' Scheltrede aber
nimmt den kleinen Rest und die ganze Gegenstrophe ein, Minos'
Antwort die fast ebenso große Epode. Kurz berichtet die zweite
Strophe« wie Zeus blitzend sich als Minos' Vater offenbart, und Minos
seinen Ring ins Meer wirft, damit Theseus den Beweis erbringe,
dafi Poseidon, wie er gerühmt, sein Vater sei. ,Es zitterten die
Athener und weinten, als Theseus hinabsprang; ihn aber trugen
Delphine in seines Vaters Haus hinab* (92 — 100). Länger verweilt
der Dichter drunten (10 1 — 116), um dann (117 — 129) den staunenden
Ärger des Minos und die Freude der Athener zu zeichnen, als The-
seus geschmückt mit den Geschenken der Amphitrite auftaucht
Die ganze Sage von Minos und Theseus steckt in dem kleinen
Liede: Athens Demütigxmg durch Minos, sein gewalttätiger Über-
mut, Theseus' Heldenhaftigkeit, die sichere Zuversicht seines Sieges
unter Athenes Schutz. Und das alles in einer einzigen, anschaulich
lebendigen Scene voll äußerer und innerer Bewegung und dramati-
scher Spannimg.
Es ist nicht schwer, dies Lied in epischen Stil umzusetzen. Selbst
wenn man einen ebenso knappen Anfang zulassen imd man sich
auch sonst möglichst eng an Bakchylides anschließen wollte, doch
würde unwillkürlich alles breiter geraten. In Wahrheit aber würde
ein Homeride dieselbe Geschichte anders dargestellt haben. Man
konnte etwa Zweikampfscenen vergleichen. Gelegentlich leitet sie
Homer knapp genug ein: ,in der Mitte beider Schlachtreihen trafen
sich der imd der.' Aber schon der nächste Vers hat die epische
Behaglichkeit: ,als sie nun dicht aneinander waren, da sprach zu-
2»
UedsiU wid Epenstü, Stoffliche Geschlossenheit 2 1
Glaukos und Diomedes, oder im Y der Kampf des Aineias mit AchilL
Das sind nicht Teile einer Sage, sondern jede ist für sich eine ganze
Sage. Jedes Odysseusabenteuer ist eigentlich eine Sage für sich, und
aoch in der Ilias steht manche Scene, die man sich recht wohl als
geschlossenes Kleinepos oder Lied, wie man früher sagte, vorstellen
konnte, wie z.B. Hektors Abschied: es wäre die Sage von seinem
Tode für seine Stadt in dieser einen Scene concentrirt, die weder
einer g^roßen Einleitung noch einer langen Fortsetzung bedürfte, um
jedem verstandlich zu sein. Nicht die größere oder geringere Aus-
dehnung unterscheidet Lied und Epos, sondern der Stil. Gab es
doch ein Chorlied, die Orestie unter Stesichoros' Namen, von so großer
Ausdehnung, daß sein Text in zwei Bücher geteilt wurde; es war
also sicher umfangreicher als die Aspis Hesiods in jetziger Form
oder die aus der Ilias zu erschließenden Kleinepen.
Aus dieser Tatsache der stofflichen Geschlossenheit des Liedes
fc^ nun, wie Ker und Heusler mit Recht betonten, unbedingt:
nimmermehr können Ilias und Odyssee durch einfaches Aneinander-
reihen von Einzelliedem, besser Kleinepen, entstanden sein, wie sich
das Lachmann gedacht hat Die Abenteuer des Odysseus in seinen
Apologen könnten freilich ebensogut um etliche vermehrt wie ver-
ringert werden; und die Begegnung des Glaukos und Diomedes,
der Kampf des Aineias mit Achill sind nicht unbedingt nötig für die
Dias, oder es könnten auch noch einige Scenen der Art mehr ein-
gef^ft sein. Aber gerade diese Episoden zeigen am deutlichsten,
daß jene Epen nicht Zusammenhäufungen von Episoden sind, son-
dern organisch gegliederte Kunstwerke. Eben deshalb heben sie
«cb von ihrer Umgebung ab, weil diese fest in sich gefugt ist Man
kann nicht beUebige Stücke aus Ilias oder Odyssee entfernen oder
an andere Stellen versetzen, wie man's mit jenen Episoden versucht
haty aber auch da vergeblich. Die Begegnung mit Nausikaa kann die
Odyssee nicht entbehren, die Ilias nicht die Entsendung des Patro-
kloSy auch nicht die köXo^ ^dxTl (6); allein da, wo sie stehen, sind sie
möglich« Unsere Uias hat nur ein Thema: den Zorn Achills. Sollte
iie also nicht die einheitliche Schöpfung eines Dichters sein, so kann
sie nur durch Ausweitung eines einzigen Gedichtes, sei es nun
ein Lied oder ein Kleinepos, entstanden sein.
Nun bezeug^ Homer Aoiden, Sänger als Träger der Heldensage,
Weäere Spuren des Liedstils in der Ilias . 29
Vater Ares . . J Auch im weiteren Verlauf zeigt es Verwandtschaft
mit der Technik des Liedes. Es bestand ursprünglich wohl — die
Schildbeschreibung ist abzuziehen — aus etwa 250 Versen. Es wird
kein Zufall sein, daß gerade in solchen Scenen sich die Nachwirkung
des Liedstils noch zeig^ Denn der Heldenkampf ist meiner Über-
zeugung nach einer der ältesten imd beliebtesten Stoffe des Hel-
denliedes gewesen und ist es geblieben, solange die echte Helden-
sage lebendig war.
Im weiteren Verlaufe seiner Erzählung hatte das Epos die Eigen-
tömlichkeit des rasch über vieles hinwegspringenden Liedstiles zu
bewahren naturgemäß weniger Veranlassung. Immerhin glaube ich
doch hie und da wenigstens noch Spuren der knapp dramatischen
Gestaltung des Liedes in der Ilias zu finden. So ist z. B. im Anfang
des TT der entscheidende Augenblick, wo Aias dem Hektor endlich
weichen muß, ebenso kurz wie anschaulich in acht Versen erzählt
(TT 114 — i2i)y und dann heißt es mit schneidender Kürze:
X<iZ€To b' Ik ßeX^ujv to\ b' f^ßaXov dKa^aiov iröp
VT]l 80^ • Tf\c b' alipa KttT* dcßecTTi Kexuxc cpXöE.
Und ebenso kurz der rasche Entschluß Achills: ,auf, PatroklosI daß
sie nicht die Schiffe vernichten! Leg die Waffen an, ich hole die
MBBBScbaft*
Man vergleiche damit die ähnliche Scene M 437 ff, wo es Hektor
endlich gelingt, das Tor des Achaierlagers zu sprengen. Er muntert
die Troer auf, 442 wird nicht versäumt anzumerken, daß sie ihn alle
horten imd gedrängt auf die Mauer losgingen. Dann ergreift Hektor
einen Stein, ,der vor dem Tor stand'; ihn beschreibt der Dichter nach
Grestalt und Gewicht (446 — 449), um dann durch das Gleichnis vom
Sdiäfer, der ein Lamm aufnimmt (45 if), die Leichtigkeit zu veran-
schaulichen, mit der der Held ihn hebt 454 — 456 folgt eine Be-
schreibung des Tores. Nun stellt sich Hektor auf und wirft, und
zwar yganz naheS wird ausdrücklich hervorgehoben, und ,gut aus-
schreitend, damit sein Geschoß nicht an Kraft verlieret Nicht ge^
nug, daß er das Tor sprengt, im einzelnen wird das beschrieben
(459 — 4^^)' Nun springt er hinein ,der Nacht gleichend, seine eherne
Rüstung funkelt I zwei Speere hat er in der Hand, niemand würde
ihn aufhalten können, seine Augen brennen^ (463—466). Hier ist die
Keine Spuren des Ldedstüs in der Odyssee 31
seiner straffen Knappheit, stets nur das Wichtige packend und dies
in ccmcentrirter Kraft darstellend, hat es keine Zeit dazu, auf breit
malenden Gleichnissen stimmungsvoll zu verweilen. Das Epos schwelgt
geradezu gelegentlich in Gleichnissen, und so sehr erschien dies
Kanstmittel für den epischen Stil charakteristisch, daß es alle Zeit
von den Nachfahren oft genug mit schwerer Mühe fleißig nachge-
ahmt wurde. Dem Anfang der Ilias, ihrem ersten Buche überhaupt
hat man das Fehlen der Gleichnisse — es hat nur drei (A 47, 104, 359)
denkbar kleinsten Umfanges, wie sie auch das Lied nicht verschmäht,
z. B. Bakchylides V 65 — fast zimi Vorwurf gemacht und darin einen
Anlaß gefunden, es für jung zu erklären. Ist meine Darlegxmg auch
nur ungefähr richtig, so dürfte man eher den entgegengesetzten
SchluB ziehen. Gleichnislose Stücke des Epos stehen dem gleichnis-
losen Liede näher. Gerade der Anfang der Ilias und die Schilderung
TT ii4ff» an denen ich die Eigenheiten des Liedstiles nachwies, ent-
behren wie das Lied der Gleichnisse.
Der knappe Liedstil ist also wenigstens in Spuren noch hie
imd da in der Ilias wahrnehmbar. Aus der Odyssee aber hat sich
kein Beispiel dargeboten. Darauf aufmerksam geworden, suchte ich,
fand aber keine. Die typische Breite der entwickelnden Erzählung
zeigt sich wie in ihrem Anfange, so überall. Obgleich sie oft ihren
Helden in gefahrlichste Abenteuer begleitet, wo ein einziger Augen-
blick das Schicksal entscheidet, kenne ich doch keine Stelle, die ihn
mit der knappen Schärfe dramatisch zur Geltimg bringt, wie TT 100 ff
das Aufflammen des Schiffes schildert. Welche breite Gemächlich-
keit z. B. bei der Blendung des Kyklopen i 3 75 ff! Die Stelle gleicht
im Stile vielmehr jener Schilderung am Ende des M, wie Hektor
das Tor der Achaiermauer mit seinem Steinwurf aufschmettert
Selbst da, wo die Erzählung kurz ist, wie in den Abenteuern bei
den Kikonen, Lotophagen, Sirenen, Skylla imd Charybdis, suche ich
vergeblich Spuren des bildschaffenden, spnmghaften Liedstils, über-
all wird erzählend entwickelt, statt daß ein Bild vor Augen gestellt
wird. Auch der Schuß durch die Beile und der Freierkampf bieten
nichts der Art Trifft diese Beobachtung zu imd bewährt sie sich, so
muß man sagen: die Odyssee zeigt den epischen Stil fertig ausge-
bildet, während in der Ilias noch hie und da die Herkimft des Epos
Odyssee stammt vom Ihfsamärchen, Ilias vom Heldenlied 33
Die Odyssee hat niemals auch nur annähernd bei ihnen dieselbe
AchtuBg* genossen y die Citate, die Schollen , die Papyrusfunde zei-
gen, wie erstaunlich der Abstand in ihrer Verbreitung und Beliebt-
heit war.
Wenn irgend etwas, so ist der Heldensieg im feierlichen Liede
besungen, nicht nur bei Griechen, bei Germanen, weithin über die
Erde findet dieseJiSatz Bestätigimg: die Siegesfeier, das Siegesmahl
bietet die Gelegenheit zur Ausbildimg des Heldenliedes imd bewahrt
die Überlieferung. Das Märchen aber liebt die behagliche Erzählung
in img^ezwungener Rede, in Prosaform erscheint es bei allen Völkern
and in firühester Zeit. Die altägyptischen Märchen bewegen sich in
ihr wie die indischen oder die amerikanischen oder die deutschen.
So ergibt sich die Vermutimg: die Ilias stammt aus dem feierlich
gebundenen Heldenliede, die Odyssee aus dem in gemütlicher Prosa
erzahlten Märchen; Sie würde den Stilunterschied und zugleich die
q>rachlich jüngere Form der Odyssee erklären. Die Odysseusge-
schichte mit ihren Märchenmotiven ist, wie niemand zweifelt, von
hohem Alter und wird schwerlich den Uiassagen nachstehen, viel-
leicht in manchen Märchenzügen älter sein^', aber, wenn sie sich
ihrem Märchencharakter entsprechend in Prosa fortpflanzte und aus-
wuchs und erst verhältnismäßig spät die for Heldenkampf imd Hel-
densage bereits fertig ausgebildete epische Form anzog, dann er-
gibt sich von selbst, warum sie der alten Sprachformen entbehrt,
die die Ilias aus der so viel älteren Überlieferung infolge ihrer
metrischen Bindung festhalten konnte imd wirklich bewahrt hat
So würden denn zwei Gattungen verschiedener Art und Herkunft
sich unter demselben Gewände der epischen Form in Ilias und
Odyssee darstellen, das einst gesungene Heldenlied und die pro-
saische Märchenerzählung.^' Diese Vereinigung konnte geschehen,
einerseits weil sich die Märchen an Odysseus angesetzt hatten und
er auch in der Heldensage der Ilias Aufnahme gefunden hatte, an-
*' So hat Studniczka auf einem kretischen Siegelabdruck die Charybdis erken-
nen XU dürfen geglaubt Athen. Mitt XXXI (1906) 50.
** Erich Schmidts Erklärung (Kult. d. Ggw. I, VII 22), die gebundene Form des
Epos stamme aus dem kindlichen Bedürfnis, dieselbe Geschichte stets genau gleich
zu hören, trifft nicht zu, wie das Märchen lehrt Auch hatte das alte Irland Helden-
sage nur in Prosa.
B«th«, Homer 3
Singen und Sagen. Sangbare Hexameter 37
Was ist es nun, was den heroischen Hexameter unsangbar macht?
Nicht der Einschnitt in seiner Mitte , so daß zwei Halbverse ent-
stehen, sondern das, was ihn für die Recitation so geeignet macht,
ihm unendliche Abwechselimg und imvergleichliche Anmut gewährt,
nämlich die Möglichkeit, ihn verschieden zu teilen, in der Mitte
nicht nur, sondern auch nach dem ersten und dritten Viertel, nach
dem ersten Fuße, nach der zweiten Hebung, also die Anwendung
derPenthemimeres und Hephthemimeres neben der CäsurxaTd Tplrov
rpoxaiov und der bukolischen usw. Erst dieser Wechsel der Cä^
soren hebt das Gleichmaß des Verses auf, weil der Vortragende
Kola verschiedener Länge, bald kurze, bald lange ohne jedes Gleich-
maß absetzen muß, und so wird Melodie imd rhythmische Beglei-
tung des Saitenspiels unmöglich.
Wir besitzen noch genug sicher gesimgene daktylische Hexa^
meter, um die Probe machen zu können. Aus Alkmans Chorge-
sängen sind 9Y, richtige heroische Hexameter erhalten (frg. 26, 27,
39 — 42), aus Sapphos Hochzeitsliedem 6 (frg. 93, 94, 95.1). Die drei
Tragiker haben alle sie gelegentlich in Chören wie in Kommoi und
Monodien angewandt Aischylos Ag. 104 « 122, Xantriai frg. 168,
Sophokles Thamyris frg. 221, Trach. 1017 — 102 1, Philokt 839 — 842,
Euripides Hekabe 74f, 90 f, Androm. 103 — 115, Troad. 595 — 603,
Phoiniss. 784flf, 8i9fF, 1549 — 1578, Antiope frg. 1023.^ Keineswegs
bestehen diese Verse nur aus sechs reinen Daktylen, sondern sämt-
liche genannten Dichter mischen auch Spondeen ein, nur in den
Duetten Troad. 595 — 603 imd Phoiniss. 1549 — 1578 hat Euripides sie
rein gehalten, imd so ist es möglich, daß auch der Sang im Thamy-
ris des Sophokles frg. 221, von dem nur zwei Verse erhalten sind,
nur reine Daktylen hatte. Es sind also ganz normale heroische Hexa^
meter gesungen worden. Aber alle ohne Ausnahme haben sie nur
je eine Cäsur in der Mitte, imd zwar fast stets im dritten Fuße, meist
die männliche (Penthemimeres), doch nicht selten auch die weibliche^
selten im vierten Fuße (Hephthemimeres).^ Die männliche und weib-
* Zugesprochen von Wilamowitz, Timotheos 76. i, loi.
* Eurip. Hekabe 91 ist nur eine scheinbare Ausnahme: c<pa2[oM^vav xdir* i\i^y
TOvdTuiv ist überliefert, nicht c(pa2[o|i^av, dir*, also Hephthemimeres. — Die Bedin-
gungen der Sangbarkeit des Hexameters lehrte mich Ed. Sievers.
* Alkman, Sappho und die dem Terpander zugeschriebenen Hexameter haben
Strophische Heldenlieder 41
immer sich wiederholenden einfachen Melodie gesungen. Alle Verse
haben zehn Silben und unweigerlich eine Cäsur nach der vierten.
Etwa fünf bis zehn Verse werden je nach Belieben zusammengefaßt
durch Vor- und Nachspiel auf der Gusle. Den daraus zu erschließen-
den einstigen Strophenbau bestätigen Aufzeichnungen z. T. derselben,
heute noch gesungenen Lieder aus dem 1 6. und 1 7. Jahrhimdert: sie zei-
gen wirklich gleiche Strophen, übrigens in längeren Versen, jede mit
einem Refrain.* Versucht man eine Weiterentwickelimg der heutigen
Liedform in der so vorgezeichneten Linie zu construiren, so würden
die schon gesprengten Strophen den letzten Rest strophischer Bin-
dung, das Guslespiel hinter je fünf bis zehn Versen, abwerfen, imd es
würden nun stichisch gebaute Gedichte von beliebiger Ausdehnung
entstehen, die bald genug von der nun zwecklos gewordenen Musik
zur Recitation hinübergleiten würden. Der Parallelismus mit dem
altgriechischen Heldenliede ist augenfällig; nur schade, daß keine
* Ich verdanke diese Kenntnis dem Leipziger Slavisten Aug. Leskien. Die alten
Lieder haben Langzeilen von 15 und 16 Silben mit Cäsur nach der 7. bei 15,
nach der 8. bei 16 Silben. Ihre Strophen haben je 2— 6 Verse, denen ein kurzer
Refrain folgt. Natürlich bleibt in jedem Liede die Strophe gleich, nur zu Anfang
und am Schluß ist je ein Vers isolirt. Diese alten langzeiligen Lieder stanmien
aUe aus dem dalmatinischen Küstenlande. Zum Teil sind sie später in kurzzeilige
Lieder umgesetzt, übrigens wörtlich, also nach schriftlicher Vorlage, z. B. Lied aus
Perasto an den Boche di Cattaro : Podize se £eta turaka od Risna maloga mjesta |
carovoga mjesta == Podize se turska £eta mala | A od Risna mjesta malahnoga. Das
Verhältnis der langzeiligen zu den kurzzeiligen Versen ist noch nicht geklärt Sören-
fen leitet diese aus jenen ab. Doch sind die kurzzeiligen Jahrhunderte älter.
Letkien wies Arch. f. Slav. Philolog. III 521 nach, daß die Chronik von TronoSa
aus dem 16. Jahrhundert schon Lieder in Kurzzeilen benutzte — sie citirt zwei Verse
wörtlich — , daß also im Innern kurzzeilige Lieder schon damals üblich waren. Zu-
gleich erbrachte er den Nachweis, daß dies Lied sich wörtlich bis ins 19. Jahrhun-
dert im Sängermund erhalten hat. Denn beide Verse kehren wieder in dem von
Vuk Pj. II, Nr. 50, III 48 aus dem Volke aufgezeichneten Liede gleichen Inhalts.
Zur Orientirung: Talvij, Volkslieder der Serben 1835*. Kapper, Gesänge der Ser-
ben 1852, bes. Einleitung I, S. XXV. Miklosich, Beiträge z. K. der Slavischen
Volkspoesie (Denkschriften d. philolog.-hist. Kl. d. Wiener Akad. d. W. XIX [1870]).
F. S. Krauß, Slavische Volksforschungen 1908. M. Murko, Volksepik der bosnischen
Muhamedaner (Zeitschrift d. Vereins f. Volkskunde XIX [1909] 13 AT). Am ein-
dringendsten Asm. Sörensen, ,Beitr. z. Gesch. d. Serbischen Heldendichtung' (Arch.
L Slav. Philolog. XIV— XVII) und «Entstehung der kurzzeiligen serbisch-kroatischen
Liederdichtung im Küstenland*, Berlin 1895.
Epos und Chorlied hei Ost'» und Westgriechen 45
lides, Korinna bezeichnen sie. Dagegen kennen wir aus dem grie-
chischen Kleinasien, wo das Epos geboren wurde und erblühte,
nur das Heldenepos, aber keine Chorpoesie dieses Inhaltes, ja über-
haupt keine Chorpoesie. Und doch muß auch dort Chor-Tanz \md
-Dichtung geübt worden sein. Denn die ältesten Chormeister, von
denen wir wissen, Alkman \md Arion, sind aus Asien herüberge-
kommen, von Lesbos nach Korinth dieser, jener von Sardes nach
Lakedaimon. Alkmans lakonische Chorlieder haben die Sage zum
Inhalt wie alle andern; welchen Stoff er in seiner Heimat bearbeitet
hatte, wissen wir nicht, dürfen aber vermuten, daß es kein anderer
war. Das wird einigermaßen bestätigt, wenn wir fragen, warum die
Chorlyrik der kleinasiatischen Griechen so ganz verschollen ist Ver-
hältnismäßig früh scheint sich dort das Interesse von ihr abgewandt
zu haben, begreiflich bei der stark individualistischen Ausbildung der
dortigen Grriechen, die das kleine Einzellied, die Elegie, den Jambus im
siebenten Jahrhundert schon zu hoher Blüte gebracht haben, fähig,jeden
Gredanken, jede Stimmung des einzelnen packend wiederzugeben.
Dazu kommt, daß die kleinasiatischen Griechen im Epos schon eine
der Sagenerzählung angemessenere Form gefunden imd vollendet
hatten, neben welcher der Vortrag eines Heldenliedes durch einen
tanzenden Chor wie eine Antiquität erscheinen mußte. Der tanzende,
singende Chor ist etwas Urtümliches. Wir finden ihn überall auf der
Erde aber nur bei Primitiven, in allen hohen Kulturen ist er ver-
schwunden« So darf behauptet werden, wo wir chorische Kunst an-
treffen, ist sie ein Überbleibsel aus alter Zeit, mag sie noch so
kunstvoll entwickelt sein. Sie einzuführen, wo sie abgestorben war,
ist nicht möglich. Die Romer haben nie die griechische Orchestik,
sie allein nicht von den vielen Kunstübungen, aufgenommen, imd
wir Modernen stehen ihr ebenso ablehnend oder hilflos gegenüber.
Der Chor ist nur für eine in Geschlechtem, Ständen oder sonstwie
6ng gebundene Kultur ein angemessenes Ausdrucksmittel, er ver-
fallt überall, wo diese Schranken gebrochen werden und das indivi-
duelle Leben sich Geltung verschafft Das ist im griechischen Mut-
terlande imd Westen erst im fünften Jahrhundert geschehen. Des-
halb bleibt die Chorpoesie dort bis zur Mitte desselben, während sie
in Asien wohl zwei Jahrhunderte früher schon stillsteht imd ver-
konmit Die asiatischen Chormeister verließen ihre Heimat, weil sie
V&rsänger des Chors, Aoiden, Rhapsoden 49
vom Leierspieler.^^ So führte auch Alkman seme Chöre an und noch
Pindar, mögen sie auch viel kunstreicher gewesen sein« Alkman hat
sicher auch gelegentlich ein Solo gesungen, wie in Neidhiarts sang-
firohem Österreich ein yFürtenzel des Vorsingens pflac^ ,ein maget sanc
vor, die andern simgen alle nach'.^* Der Vorsänger löst sich vom Chor,
er singt schließlich allein, aber er behält Gesang, Rhythmus \md Stro-
phe beL Das ist die Entwickelungsstufe, auf der noch Korinna steht
Einen Schritt weiter haben schon die Aoiden getan, wie sie noch
in der Odyssee geschildert werden, und der Kitharode Terpander,
der nur die Musik bereits weiter gefordert hat: sie haben die Strophe
aufgegeben, aber noch singen sie das Heldenlied und begleiten und
imirahmen es mit Saitenspiel« Und doch scheinen sie ihren Zusam-
menhang mit der Chorlyrik nicht vergessen zu haben. Es muß doch
einmal aus dem Leben gegriffen sein, daß der Aoide am Herrenhof
ebensogut beim Mahl das Heldenlied singt, wie auf dem Tanzplatz
den Chören aufspielt So tut's Demodokos 9 2 60 ff: er sitzt in der
Mitte der Tänzer mit seiner Phorminx, die auch sein Heldenlied
begleitet, und er singt von Ares und Aphrodite; eine Heldensage
wäre nicht weniger am Platze gewesen. Auch Phemios kann beides
a 152 ff. Und das Lob, das der blinde Sänger von Chios den deli-
schen Mädchen imd ihren Chorkünsten spendet, und seine Bitte ge-
rade an sie, ihn vor allen Aoiden zu preisen (Hymn. Hom. I 1566),
bekommen erst rechten Ton, wenn man ihn sich zu ihnen in dem
Verhältnis wie Demodokos zum Phaiakenchor denkt
Schließlich bleibt auch die Phorminx fort, und statt zu singen
recitirt der Rhapsode das nun sich im vollendeten Spruchvers erst
recht weitende, breit erzählende Epos. Die chorische Kunst aber,
in Asien neben Epos, Elegie, Jambus, Melos vernachlässigt, hat
im Mutterlande und Westen ihr eigenes Leben weitergelebt imd
aufnehmend, was Asien schuf, reich entfaltet. Wenn Alkman Dak-
tylen in Reihen von Hexametern und Tetrametem anwendet, so
meint man den Zusammenhang seiner Technik mit der des Epos
noch zu spüren. Die Fortschritte dieser Chorlyrik zeigen sich am
'^ Auf der frühattischen Phaleronkanne, Arch. Jahrb. II 1887, TfL 3, vgl.
Tfl. 4: Pollcdrarahydria, J. H. St. XIV 1894, Tfl. VII 6; oberste Streifen der Fran-
(oisirase, Furtwängler-Reichold, Tfl. 13.
" Erich Schmidt, Kult. d. Ggw. I. VII, S. 10.
Bethe, Homer 4
JEs gab keine Texte van Utas und Odyssee neben den unseren 51
auch nur eine kürzere oder anders geordnete Fassung als eben die
unsrigen enthalten hätte.
Der von Aristoxenos mitgeteilte Iliasanfang
&7T6T6 vOv jioi MoOcai 'OXujiTna biOjiaT* ^xoi^cai,
8iTiTU)C bfj jifivic T€ xö^oc 9' ?X€ TTiiXciiuva
AtitoOc t* ÄTXaov utöv 6 Top ßaciXfii xoXuiOcic.
zeigt ebenso klar seine sklavische Abhängigkeit von unserm Text wie
seine böse Verschlechterung. Interessant ist er nur insofern, als man
sieht, wie die Rhapsoden gelegentlich den Übergang von einem
Prooimion zu Ehren eines Gottes, an dessen Feier sie recitirten, zum
Homerischen Epos nahmen. Mit einem derartigen Prooimion, diesmal
auf Apoll und die Musen, begann die Dias das Apellikon
Moucac dcibuj Kai 'AiröXXiuva KXuTiToEov,
wie der Homerische Hymnus 25 (« Hesiod Theog. 94 ff) sie besingt.
Die Formel begegnet in dieser Sammlung auch 12,18,27. Die phan-
tastischen Kombinationen, die der glückliche Finder daran knüpfte,
sind längst in Luft zerflossen.^ Nicht vorhomerische Iliaden waren
es, sondern schlechte Rhapsodenexemplare unserer Ilias, zu gering,
als daß ernste Grammatiker von ihnen Notiz zu nehmen sich hätten
herablassen mögen.
Die vielberedete Notiz im Scholion K, i TwL qpacl Tf)V ^ai|ii{ibtav
i}^^^ *0)Liiipou ibiqi TerdxOat xal )if) cTvai fii^poc Tf)c IXidboc, uirö h\ TTeict-
CTpdxou T€Täxöcii €lc T^iv TTOiTiciv ist uichts als Vermutimg, und zwar
eine falsche, da K nicht auslösbar ist^ Von handschriftlicher Be-
glaubigung ist keine Rede, alle Handschriften geben und gaben die
Dolonie. Ebenso steht es mit dem SchoL Z 119 A zu der Glaukos
episode, die man an und für sich glatt aussondern könnte: jueTori-
6<ad Tivcc dXXaxöc€ raÜTiiv Tf|v cucraciv: zu ergänzen ist icpiTiKoi, Ge-
lehrte taten das, nicht Handschriften. Aristophanes imd Aristarch
haben den Schluß der Odyssee von i|i 297 an athetirt, aber nichts
deutet darauf, daß sie Exemplare gekannt hätten, die wirklich mit
ip 296 schlössen. Im Gegenteil, der Schluß war in allen ebenso, wie
* Anecdoton Osanni (Gissae 1851) ■>- Nauck, Lexic. Vindobonnense 273: 'Apicrö-
£€vo€ iv d TTpaEibaixavTciuiv q)iiclv xard nvac ?x€tv • ?c»r€T€ . . Vgl. A. Kirchhoff,
BerL Akad. Sitz.Ber. 1893, 897.
* Darüber unten II. Buch, 5. und 7. Stück.
4*
Altische Mutterhandschrifi Homers im VI. Jahrhundert 53
Ursprungs ausweist Das kann nicht oft, nicht scharf genug betont
werden« Denn nach keiner Richtung hin ist diese unbestreitbare
Tatsache hinlänglich beachtet oder ausgenutzt worden, weder für
die Analyse noch für die Textkritik. Ihr Ziel kann kein anderes sein
als die Rekonstruktion dieser attischen Mutterhandschrift des sech-
sten Jahrhunderts für Ilias wie Odyssee. Über sie hinausdringen zu
wollen, unsem Text über das sechste Jahrhimdert hinauf zu archai-
siren, gar zu aiolisiren oder den Epen durch Ausscheidungen die
vermeintliche echte ursprüngliche Gestalt wiederzugeben, ist ein
Unternehmen ohne Möglichkeit des Gelingens. Denn ihm fehlt die
wissenschaftlich gesicherte Grundlage. Ist doch nicht klar» wie diese
attische Mutterhandschrift entstanden sei, ob sie eine eingreifende
neue ^Redaktion' gab, oder ob sie sich bis auf die attischen Stellen
an ihre Vorgängerinnen sorgsam anschloß, oder ob sie gar etwas
Neues, Größeres, Umfassenderes gab als alle früheren. Aber sie
selbst, diese attische Mutterhandschrift wiederherzustellen, diese
Aufgabe hatten bereits die Alexandriner angefaßt und soweit mög-
lich gelöst Ihr Material führte sie einfach darauf. Bewußt sogar
hat Aristarch wenigstens insofern dies Ziel verfolgt, als er altattische
Gedichte herzustellen meinte: hielt er doch Homer für einen Athener,
was ihm der Text zu ergeben schien. Nur darin hat er sich getäuscht,
daß er den so gewonnenen, attischen Homertext für sehr alt hielt
Aristarchs Recension mit allen Mitteln wiederherzustellen, war die
erste und unbedingt notwendige Aufgabe. Ihr hat sich A. Ludwich
mit bewunderungswürdigem Fleiße imterzogen. Von dieser Erkennt-
nis aus, daß die beiden Mutterhandschriften der Ilias und Odyssee
im Athen des sechsten Jahrhunderts verfaßt sind, ist der Aristarchi-
sche Text zu verbessern, d. h« den damit gegebenen Bedingungen
genauer anzupassen, wie z. B. der Vers B 558, der den Aias seine
Leute neben die Phalangen der Athener stellen läßt, von Aristarch
nicht geschrieben, in jenem attischen Urexemplar des sechsten Jahr-
hunderts durchaus am Platze ist Aber es werden nur Kleinigkeiten
sein, die gegen Aristarch zu ändern sind. Im allgemeinen darf sein
Text för identisch mit den beiden Mutterhandschriften der Dias und
Odyssee gelten.
Dieser attische Homertext des sechsten Jahrhunderts
ist das einzige Objekt aller Homerforschung. Er ist und
56 /, ^. Unser Hamertext
Ich beginne mit der Analyse der Ilias. Folgen sollen Recon-
struction und Analyse der übrigen Epen des troischen Kyklos. Dann
werde ich die Odyssee behandeln. Erst damit ist ein Gesamtüber-
blick über diese in steter Wechselbeziehung herüber und hinüber
spielenden Gedichte gegeben und ihre Beurteilimg ermöglicht Den
Abschluß werden chronologische Fragen bilden. Bei ihnen muß
das Problem der ,pisistratischen Recension^ von neuem behandelt
werden.
ZWEITES BUCH • DIE ILIAS
ANALYSE DER ILIAS
ERSTES STÜCK
DIE EINHEIT UNSERER ILIAS ^
Den GrroU Achills und seine verderbliche Wirkung kündet das
Prooimion an. Das Epos erzählt beides. Seine Veranlassung, Achills
fluchy Zeus' Beschluß gibt das A. Im I sehen wir Agamemnon durch
schwere Niederlage gedemütigt dem Achill Genugtuimg bieten; der
aber verharrt in seinem Groll. Im T wird endlich die Versöhnung
vollzogen y der Groll ist vorbei. Im gemeinsamen Kampf Y4>X und
in der Gemeinschaft der Leichenspiele für Patroklos V bewährt sich
der neugeschlossene Bund. In wuchtiger Breite werden die ver-
derblichen Wirkimgen des Heldengrolles geschildert: zunächst die
Niederlagen der Achaier, im 6 die eine, in A — die andere mit der
Eroberung des Lagers und Bedrohimg der SchijBfe, dann der Tod
des Patroklos TTP. Der vermag, was Agamenmons Demütigung
und die höchste Not der Achaier nicht vermocht hatten: er bringt
Achill wieder in den Kampf und auf diesem Umwege zur Versöh-
nung. Zugleich wird so ein neues Motiv eingeschoben, die Rache
für Patroklos an Hektor. Hektor war schon am Anfange A 242
von Achill als der Troerheld schlechthin bezeichnet: so ist von
vornherein das Auge auf dies Paar gelenkt Man fühlt, sie werden
einmal miteinander ringen. Der Dichter weiß dies Gefühl wach
zu halten imd zu steigern, indem er immer mehr den Hektor über
' Vg^ C. Rothe, Die Ilias als Dichtung, Paderborn 191 o; M. Croiset, Revue
des 2 mondes 1907; Th. Plüß, N. Jahrb. f. Kl. Alt. XXUI (1909) 317, XXV (1910)
476: H. v.Leeuwen, Commentat Homer., Leiden 1910, Kap. I->-Mnemosyne 1910, 354»
Die Einheit der Ilias zu behaupten, ist an sich kein Verdienst, wenn nicht der
Beweis hinzutritt, worin sie trotz aller Anstöße liege und durch welche Mittel sie
erreicht sei. Und zwar muß er an dem ganzen Gedicht geführt werden; daß es
einzelne tadellose Abschnitte gebe, ist kaum je geleugnet worden.
Achaiersiege f— H, NaH<mahtolz 59
Priamos und die Alten wahrhaft vornehm m Gesinnung und Worten
gegen Helena, die unschuldige Ursache des Krieges, Paris leicht-
sinnig und frivol, Hektor groß und gefaßt, die königliche Mutter, die
Gattin, das Kind, alle troischen Weiber in Angst um ihre Männer
in der Feldschlacht, um das Schicksal der Stadt. Indem der Dichter
dies vorweg schilderte, flößte er der breiten Erzählung der Kämpfe
einen feineren und höheren Sinn ein. Er konnte aber das nicht ganz
erreichen, wenn er nicht Uios hart bedrängen ließ. Aus diesem
höheren künstlerischen Gesichtspunkt opferte er die straffe folge-
rechte Entwickelung der Handlung, und statt sofort den Sieg der
Troer zu erzählen, der dem Achill Genugtuung verschaffen sollte,
fag^e er zunächst einen Achaiersieg ein, damit wir nach Uion hin-
einblicken können imd in die Seelen seiner Bürger.
Zugleich aber war dabei gewiß auch Rücksicht auf den Natio-
nalstolz der Griechen gegenüber den Asiaten im Spiel. Kann man
doch geradezu von einer nationalistischen Tendenz der Dias spre-
chen. Sie drängt sich selbst bei den herrlichsten Troersiegen dauernd
mit dem Wunsche vor, sie zu hemmen und zu verkleinem. Immer
wieder werden sie imterbrochen durch große und kleine Vorteile von
Achaierhelden, möglich werden sie nur durch die Verwundung der
Haupthelden außer Aias, die meist durch feigen Pfeilschuß erzielt
wird. Bis auf Patroklos wird kein namhafter Achaier von einem
Troer im gleichen Klampfe bezwimgen, und auch diesen muß erst
Apoll betäuben, während die Achaier manchen großen Troer er-
legen, sogar ihre Götter siegreich bekämpfen. 1 89 Troer, hat man b^
rechnet, fallen in der Dias, aber nur 53 Achaier. Feigheit, Ruhm-
redigkeit, Eidbruch und Verrat sind nur den Barbaren zugeteilt,
die Achaier strahlen im Glänze der Verteidigung heiligen Gast-
rechts und aller männlichen Tugenden. Diese Tendenz setzt einen
gespannten Gegensatz der Zeitgenossen des Dichters gegen die
Asiaten voraus. Ihn mußte er stets berücksichtigen. Sogleich von
Niederlagen ihrer Ahnen zu erfahren, würde sie nicht erfreut haben.
Die kurzen Andeutungen von Siegen und das Bewußtsein der schließ-
lichen Eroberung Ilions hätte ihnen allein nicht genügt Freilich ver-
schwört sich Achill A 240, er wolle nicht mehr mitkämpfen, auf daß
die Achaier, unter Hektors Händen fallend, sich nach ihm sehnen
sollen. Und gewiß ist der Sinn seiner Kampfenthaltung der, daß
Dreifache Gliederung. Paralielismus. 6l
äußerster Not der Achaier 0. Nicht weniger verschoben würde das
Verhältnis des ersten Teiles zum letzten: Achills Siegen Y4>X würde
nichts entsprechen als etwa das kümmerliche 6.
Die äußerliche Massengliederung der Ilias läßt der Versuch, die
anstoßigen Bücher V — H wegzudenken, recht klar hervortreten. Bitt^
gesandtschaft I und Versöhnimg T sind die großen Marksteine der
Composition, weil sie das Hauptthema, den Groll Achills, wieder auf-
nehmen und weiterfuhren: wie Achills Fluch im A die Niederlage des 6
und die Aixai I verursacht, so bedingt Achills Trotz im I wieder die
Steigerung der Achaiemot in M — 0, die Patroklos TT nur lindert,
aber nicht aufhebt Dann erst folget die Versöhnung Achills T, und
damit erst ist die entscheidende Wendimg gegeben. Diese beiden
Marksteine, das 9. (I) imd das 19. (T) Buch, teilen das große Epos
in drei Teile mit Hilfe des Zommotivs (A), das auf diese Weise nun
doch das Ganze durchdringt, gliedert und zusammenhält Auch das
kann unmöglich Zufall sein, auch darin ist bewußter Plan eines
Künstlers anzuerkennen, der die ungeheure Masse zu gliedern,
durchgehende Linien zu ziehen, stark wirkende Einschnitte heraus-
zuarbeiten sich bemühte. Der Mittelteil K — ist so groß, daß eine
Erinnerung an den grollenden Achill nötig erschien. Deshalb läßt
er ihn A 600 die Schlacht von seinem Schiffe aus verfolgen imd den
Patroklos zu Nestor entsenden, zugleich so die Patroklie vorberei-
tend. Zur Gliederung verwendet er hier die Mauer des Schiffslagers,
die M erstürmt, nach dem kurzen Vorstoß der Achaier noch ein-
mal genommen wird« Und sollte es nicht absichtliche Parallelisi-
rung sein, wenn dieser von dem vergeblichen Versöhnungsversuch (I)
und der wirklichen Versöhnung (T) umschlossene Teil mit sieghaften
Großtaten achaiischer Helden umrahmt wird, des Patroklos (TT), dem
sich in P die Aristie des Menelaos anschließt, und des Diomedes-
Odysseus (K), auf die Agamemnons Aristie (A) folgt? Sicher scheint
mir die Absicht, Q dem A, ¥ dem B entsprechen zu lassen. A schildert,
wie Achills Zorn entbrennt und auf Thetis' Bitte Zeus zur Sühne
ihres Sohnes das Verderben der Achaier beschließt Q fuhrt ims
vor, wie Thetis auf Zeus' Wunsch ihren Sohn beschwichtigt, Rek-
tors Leiche den Feinden zur Bestattung auszuliefern« Schnelles
straffes Anspannen weitwirkenden Zornes dort, hier ruhiges traurig-
friedliches Ausklingen des letzten Grrimmes. Das erste Buch ein
Zweck von A— HySrr das Gänse und ihre Veröindimg 65
Im Anfang des f sogleich der Zweikampf des Menelaos und
Alexandros. Die Schlacht wird abgebrochen, sie beide allein sollen
den Krieg entscheiden, Eide werden geschworen. Wie viel Kritik,
wie wenig Verständnis ist auch dieser Anordnung entgegengebracht
worden! In den Anfang des Krieges , aber nicht ins zehnte Jahr
gehöre dieser Zweikampf, ebenso unbegreiflich töricht sei der Ab-
bruch der kaum begonnenen Schlacht Übel angewandter Rationa^
lismusl Was kann der Dichter beabsichtigt haben? Helena ist Ur-
sache und Preis des Krieges, ihr Räuber und ihr Gatte sind Haupt-
figuren seines Theaters. Deshalb stellt er sie bei Beginn seiner
Schlachtschilderungen allen andern voran an den sichtbarsten Platz.
Ihr Zweikampf erst macht uns das nebenher schon Mitgeteilte zur
anschaulichen Wirklichkeit, zum Erlebnis, daß sie es sind, der Ent-
fuhrer und der Entehrte, die den troischen Krieg eigentlich fuhren,
daß es Helena ist, um die er entbrannt ist und gefuhrt wird. Als
Helden wollen sie ihren Strauß selber ausfechten. Aber im Gretüm-
mel der Feldschlacht würde ihr Elampf zwischen den andern Paaren
nicht in seiner vollen Bedeutung sich darstellen. Deshalb ruhen die
Heere y sie beide sollen allein für sie alle entscheiden. So sind sie
über alle anderen hinausgehoben, hinter denen sie doch als Kämpfer
weit zurückstehen und hinter denen sie dann auch alsbald fast ver-
schwinden. Durch die Voranstellung und feierliche Gestaltimg ihres
Zweikampfes ist ihre Bedeutimg für den ganzen Krieg zur eindrück-
lichen Geltimg gebracht. Das ist die Tat eines klug ordnenden
Künstlers. Um die kleine Unwahrscheinlichkeit, daß erst im zehn-
ten statt im ersten Jahr die beiden durch Zweikampf den Krieg
entscheiden sollen, grämt er sich nicht
Noch einen weiteren Zweck haben die Eide, die dem Sieger
Helena und die Schätze geloben. Sie sollen gebrochen werden.
Damit werden die weiteren Siege der Achaier motivirt, die nun zu
erzählen sind, und die Bedrängung der Troer, die für die pathetische
Wirkung seines Epos unentbehrlich ist Denn nach solchem hinter-
listigen Treubruch, wie ihn Pandaros im A begeht, verlangt der
Hörer die Strafe des Himmels. Man sieht, wie umsichtig der Dich-
ter die Achaiersiege motivirt; auch er wird also wohl, wie seine
Kritiker, die Diskrepanz zwischen ihnen imd den durch Achills
Fluch und den Ratschluß des Zeus erregten Erwartungen gefühlt
Betli«, Homar 5
Einheit und Vielheit 69
Diese Annahme ist freilich in einer Zeit natürlich, in der wir unsere
Künstler in lächerlichem , weil unwahrem Originalitätstreben die
Macht der Oberlieferung gering achten sehen und sich bemühen, neuen
Inhalt zu suchen und neue Formen zu schaffen. Aber frei kommen
sie doch nicht von dem unerbittlichen Gesetz alles irdischen Schaf-
fens, das keine Sprünge kennt, nur organische Entwickelung diüdet.
Jede alte gesunde Kunst ist ihm mit derselben Selbstverständlich-
keit ergeben, mit der alle Lebewesen sich den Gesetzen ihrer Organe
imterordnen: sie arbeitet stetig in guter Handwerkersitte, bewahrt
das Gelungene und gibt es weiter im glücklichen Bewußtsein des
Erreichten, ohne nach der Person des Schopfers viel zu fragen« Wie
hätten das auch die Aoiden tun sollen, da jeder sich bewußt ist, daß
nicht er schafft, sondern aus ihm die Muse singt, die alles weiß? Die
Odyssee zeigt das deutlich. Am Heldengedicht erfreuen sich Odys-
seus und die Phaiaken und Freier, aber keinem fallt es ein, den
Aoiden vom Dichter zu trennen, auch dem Verfasser der Odyssee
selber nicht Und doch ist klar, daß er keineswegs ihre Vorträge
für ihre Originaldichtungen hält: sagt er doch, der Ruhm der oT)LiTi vom
Streite des Odysseus imd Achill sei damals zum weiten Himmel ge-
stiegen (6 74)» d.h. doch nichts anderes, als eben diese oT)iTi sei da-
mals überall gesungen worden.
So verkehrt es ist, ohne weiteres unsere Uias als die Verschlech-
terung eines hypothetischen älteren Gedichtes zu betrachten, ebenso
unberechtigt ist es aber auch, deshalb, weil sie eine beabsichtigt ein-
heitliche Composition ist, sie sofort auch in allen ihren Teilen für
die Originalschopfung desselben Dichters auszugeben. Begreiflich
ist diese Neigung und auch nützlich als Reaktion gegen die nur zu
lange herrschende blinde Sucht, zu zergliedern, zu zerfetzen. Aber
die Homerphilologie des neunzehnten Jahrhunderts hat dann doch
sehr ernste Ungleichheiten in Anschauung und Empfinden, Wider-
sprüche in der Charakterzeichnung, Verschiebung und NichtvoUen-
dung sorgfaltig vorbereiteter Handlungen aufgewiesen. Wer sie be-
kämpft, streitet wider eine Hydra. Selbst der wackere Verteidiger
der absoluten Einheit der Homerischen Gedichte, G. W. Nitzsch, gab
schließlich doch ehrlich nicht wenig zu, und auch C Rothe kommt
jetzt nicht aus, ohne zahlreiche imd große Stücke aus der Dias aus-
zusondern, wie die Kataloge B, Glaukos-Diomed Z, Aineias und
Zwei unvereinbare Charakierhilder Achills in der Ilias 73
sichtiger, vielmehr verständnisvoller ich für viele Widersprüche in
Dichtungen geworden bin. Mancher Widerspruch ist, wenn auch
schwerlich je mit Bedacht vom Dichter begangen, so doch ihm zu-
lässig erschienen, wenn er künstlerischen Zwecken dient, die ihm
wertvoller sind als banale Log^ Man hat derartiges aus allen
Literaturen, selbst aus der bildenden Kunst, höchst dankenswert zu-
sammengebracht, um die Iliaszerfetzer zu widerlegen imd zu warnen.^
Bei diesem schwersten Widerspruch der Ilias aber versagt mir jede
Erklärungsmöglichkeit Von künstlerischen Zwecken hier zu reden,
ist unmöglich. Unachtsamkeit kann ihn auch nicht verschuldet
haben. Denn hier stoßen zwei unvereinbare Vorstellungen
des Haupthelden der Ilias aufeinander, die die Anlage des
großen Epos und die Führung seiner Handlung nach entgegenge-
setzten Richtungen wenden mußten.
Die eine denkt Achill von zwei Leidenschaften gleich stark ent-
brannt, den Begierden nach Sühnung seiner Schmach und nach
Kampf, mit heißer Sehnsucht den Augenblick erwartend, der ihm
die Teilnahme am Kriege endlich wieder ermögliche, ihm Genug-
tuung bringe, das Eingeständnis der Achaier, ,wir vermögen nichts
wider Hektor ohne dich^ So erscheint Achill A 600. Von seinem
Schiffe aus verfolgt er die Schlacht imd ruft seinen Gefährten her-
bei: Jetzt werden mich die Achaier anflehen.' Damit steht im rein-
sten Einklang der Anfang des TT: nur gerade die Schiffe vor dem
Brande zu retten, erlaubt er dem Patroklos, damit er ihm nicht
Ti^f|v ^€T<iXYlv Kai Köfeo^ iTpöc irdvTiüV Aavaujv (84) nehme; imd als er
die Flammen aufschlagen sieht, da sprüht seine Kampfeslust auf,
und er selbst drängt die Seinen in die Schlacht Der Dichter, der so
den Achill zeichnete, konnte nie auf den Gedanken kommen, ihn
Agamemnons demütige Sühne und die Bitte der Achaier imi Schutz
abweisen zu lassen, wie es I geschieht Denn er würde seiner eige-
^ C. Rothe, Ilias 55 ff. Ein lehrreiches Beispiel ^bt Cervantes im Don Quixote.
Ihm bt der brave Sancho so unlöslich mit seinem Esel verbunden, daß er ihn reiten
läfit, auch nachdem er eben erzahlt hatte, daß ihm ein Galeerensklave das Grau-
chen gestohlen hat (23). Nach etlichen Zwischengeschichten nimmt er aber das
fallengelassene Motiv wieder auf und schildert das zärtliche Wiedersehen Sanchos
mit seinem geliebten Tier (30). Ich zweifle sehr daran, daß hier Absicht und
Persiflage vorliege, wie man gemeint hat.
Die BittgesandUchaß schließt die Versöhnung aus 77
jeden Vergleich verweigert hat, redet Phoinix ihm noch einmal als
väterlicher Freund milde zu imd stellt ihm schließlich das Schicksal
Meleagers vor Augen. Auch der blieb aus Zorn gegen die Seinen
ihrem Kampfe fem« trotz aller Bitten und Angebote, bis die Feinde
in die Stadt drangen; da endlich gab er den Tränen seines Weibes
nach, stürzte sich in den Kampf, drängte die Feinde hinaus und
sieg^ — aber die angebotenen Geschenke erhielt er nun doch
nicht, Koncöv V fl^uve xal aöriuc (I 599). Der alte Phoinix sieht voraus,
daß den Achill sem Trotz eben den Weg fuhren wird, den Melea-
ger gegangen ist, er will ihn warnen durch dies BeispieL Auch das
ist vergebens, Achill bleibt bei seiner Weigerung, die Geschenke
anzimehmen imd zu helfen. So muß denn kommen, wovor der Alte
ihn gewarnt: auch Achill wird schließlich doch tun, um was die Gre-
sandten vergeblich baten, er wird sich in den Kampf stürzen und
helfen — aber was er jetzt verschmäht hat, gibt ihm dann niemand
mehr, so wenig wie einst dem Meleager — Kaxöv b' jjjiuve Ka\ aCruic
So muß die Geschichte weitergehen, und daß sie so weiterging,
müssen die Hörer, auf die der Dichter der Airai rechnete, schon ge-
wußt haben. Denn die Rede des Phoinix erhält nur dann ihre
Pointe, übt nur dann ihre volle Wirkung. Das Gedicht setzt die
Patroklie voraus — aber ohne Versöhnung, ohne das T. Achill muß
unmittelbar nach Patroklos' Tod in die Schlacht eingegriffen haben.
Ich fasse zusammen. I und T, für die Composition unserer Ilias
als gliedernde Marksteine von großer Bedeutung, stehen peirallel als
vergeblicher Versöhnungsversuch imd wirkliche Versöhnung, und
zwar ist T nach den von I gegebenen Richtlinien gearbeitet, vom I
also abhängig. Trotzdem aber verbieten die Charakterzeichnung
Achills im I wie seine Antworten dort und das ihm von Phoinix
I 530 vorgehaltene Beispiel Meleagers, an die Möglichkeit einer
ist keine Interpretation. So plötzlich, wie Ph. I 168 aufgetaucht und wieder ver-
schwunden ist, erscheint er wieder 223. Das hat Bergk, Gr. Lit.-Gesch. I 595 alles
richtig dargelegt.
Aber auch ich glaube nicht an eine Presbeia ohne die Fh.-Rede. Um sie zu
halten, braucht Ph. aber nicht in Agamemnons Rat gewesen zu sein. Die Duale
182 ff beweisen ebenso wie die Verhandlung, daß er nicht erst kam. So muB
also irgendeine Umarbeittmg des Eanzelgedichtes der Presbeia (vgl. V. Stück) vor-
genommen sein.
T vom Verfasser unserer IliaSy aber nicht I 79
Teile der großen Handlung gesetzt haben. Weder I noch T ist in
unserer Uias entbehrlich, man kann sie so wenig herausheben oder
auch nur fortdenken wie die Patroklie, ihr Kernstück. Unsere Ilias
stürzt zusammen y wollte man auch nur eines dieser drei heraus-
brechen«
Geht nun nicht die eben dargelegte und gepriesene planmäßige
Einheitlichkeit der Ilias wieder in Brüche? Doch nicht. Zu offen-
kundig ist sie imd zu fest gezimmert Gerade die eben gewonnene
Erkenntnis zeig^ ja wieder, wie eifrig ihr Verfasser beflissen war,
sie herzustellen. Aber das freilich müssen wir nun feststellen : die
Einheitlichkeit der Ilias ist nicht mit und in allen ihren
Teilen durch einen Akt, durch Urschöpfung erzeugt, son-
dern sie ist älteren Gedichten verschiedener Herkunft auf-
gezwungen« Ihr Baumeister hat nicht von Grund aus neu gebaut
mit frisch aus dem Fels gebrochenen Steinen, sondern er hat schon
vorhandene kleinere Gebäude zu einem gewaltigen Schlosse nach
großem einheitlichen Plane umgebaut
Demnach stellt die Analyse der Ilias eine doppelte Aufgabe. Wir
müssen einerseits Art und Umfang der Arbeit des Verfas-
sers unserer Ilias festzustellen suchen, andererseits die von
ihm eingearbeiteten älteren Gedichte herausschälen. Dabei
ist es nach der bereits gewonnenen Einsicht klar, daß von einem me-
chanischen Nebeneinanderstellen nicht die Rede sein kann. Wer eine
künstlerische Einheit, wie es die Ilias ist, mit Benutzung älteren Mate-
rials zustande brachte, der mußte hier etwas abnehmen, dort etwas zu-
setzen, mußte Klammem einlegen und Verbindungen schaffen. Diese
von vornherein anzunehmenden Veränderungen erschweren die Ana^
lyse außerordentlich. Aber gerade in ihrer Aufdeckung liegt allein die
Möglichkeit, die Aufgabe zu lösen. Richtlinien gibt der nachgewiesene
einheitliche Plan unserer Ilias, so wie sie vorliegt Divergirende
Tendenzen verraten ältere, anders orientirte Gedichte. Beide Unter-
suchungen werden dauernd ineinandergreifen, sie lassen sich nicht
isoliren, weil eben ihr Objekt eine geschlossene Einheit bildet Nur
bei Stümperarbeit scheiden sich deutlich die Bestandteile. Stümper-
aibeit aber ist die Ilias nicht, das habe auch ich wieder gezeigt,
denn es ist ja immer noch nicht anerkannt
Znnächst gilt es, die Patroklie und die Aird in ihrem Verhältnis
Pairoklos in Achills Waffen 8l
Waffen unzertrennlich ist Stellt sich aber heraus , dafi dies Motiv
nicht der Patroklie von Ursprung her eigentumlich zugehört ^ daß
alle Stellen, in denen der Waffentausch vorbereitet, ausgeführt wird
und nachwirkt, erst nachträglich in ihre Umgebung eingearbeitet
sind, so hat die alte Patroklie keine Pause eintreten lassen, muß also
wohl die Rache Achills an Patroklos' Tod unmittelbar angeschlossen
haben. Die Einfüg^ung des Waffentausches müßte dann von dem
Manne durchgeführt sein, der die Kampfespause brauchte und sie
durch T ausgefüllt hat; also dem Verfasser unserer Uias.
Auf Nestors Rat A 798 hatte Patroklos TT 40 den Achill gebeten,
ihm seine Waffen für die Vertreibung der Troer von den Schiffen
zu geben. Achill sagt das TT 64 zu, und so legt Patroklos denn
TT 134 AchUls Rüstung an und besteigt den von Achills gottlichen
Rossen gezogenen Wagen unter Automedons Führung TT 148. Hektor
erlegt ihn, sucht dann vergeblich das Gespann zu erbeuten TT 864,
P 76, aber es gelingt ihm, den Patroklos P 125 zu spolüren, und er
legt sich alsbald die erbeuteten Waffen Achills noch während der
Schlacht an P 191. In der Nacht, die den Kampf unterbricht £ 240,
schmiedet Hephaistos für den waffenlosen Achill neue Rüstung. Mit
ihr angetan T 369 ff besteigt der Pelide seinen geretteten Wagen
T 393 und stürzt sich in die Schlacht
Aber nun ist es, als wäre das Interesse an diesen mit so viel
Eifer hervorgehobenen Waffen Achills erschöpft. Man dürfte doch
erwarten, dafi der Dichter, der den Hektor mit den von Patroklos
erbeuteten Waffen Achills diesem selbst zum Todeskampfe gegen-
überstellt, dies Motiv ausnützen würde imd den Achill sie erkennen
liefie imd seine Wut verdoppeln, oder wenigstens, als der tod-
wunde Feind ihn um Ausliefenmg seiner Leiche an die Seinen bittet
(X 340), durch ihren Anblick seine wilde Ghrausamkeit (X 347)
schüren. Aber nichts davon. X 323, 331 sagen nur, Hektor habe
die Rüstung getragen, die er dem Patroklos genommen, während
' Th. Bergk, Griech. Lit.-Gesdi. I 626 hat zuerst ausgesprochen, daB die Einar-
beitung der einstigen Einzelgedichte der Hoplopöie den WafTentausch zur Folge
hatte. B. Niese, £. H. P. 88, 91 hat es dann weiter ausgeführt Seitdem ist es man-
chem feste Überzeugung.
B«the, Homer 6
Patrokhs und Achills Gespann 93
wesen. Andrerseits ist des Achillwagens wegenn470— 477* von dem-
selben hinzugefügt: sie erklären Pedasos nur als Beipferd, erinnern
an die beiden andern und an Automedon, der die Riemen zerschnei-
det. Daraus folgt zweierlei Erstens hat dem Autor dieser Verse
TT 152 — 154 und 471 — 477 — ihn nicht mit dem Verfasser unserer
Ilias zu identificiren, sehe ich keinen Grund — die Sarpedonscene
in derselben Fassimg vorgelegen, die wir lesen. Zweitens hatte die
Sarpedonepisode, die also älter ist als der Verfasser unserer Ilias,
nichts davon gewußt, daß Patroklos auf Achills Wagen fuhr. Einen
Wagen hat er hier aber wie auch 733. Doch auch diese Vorstellung
ist nicht klar durchgeführt Im Anfang des Schiffskampfes ist Pa^
troklos zu Fuß. Wenn er TT 409 den Thestor, den er mit seinem
Speer getroffen hat, an diesem vom Wagen zieht, kann man ihn da
die Anfügung des Tragriemens 480 kann Bedenken erregen, da er natürlich erst
nach Vollendong des ganzen SchUdes zu allerletzt angesetzt wird. Doch dieser
Anstoß bleibt auch bei Zenodots Athetese von 483—608. Man müßte schon 481 f
streichen. Dann würde 609 «-478 noch unerträglicher wirken, der doch unentbehr-
lich ist wegen 610 ff. Da wäre es denn wahrlich doch einfacher, die Schwierigkeit
durch Streichung des einzigen Verses 480 zu heben und die schöne Schüdbeschiei-
bimg ruhig im Texte zu lassen. Denn die kurze Abfertigung der übrigen Wafibf
kann man zum Vorwurf nicht machen: ein kluger Dichter ist nicht Pedant und
hütet sich vor dem Zuviel.
hl der Schildbeschreibung selbst fäUt mir nur eines auf, die Kürze, mit der
die Schafweide 587—589 gegenüber der Rinderweide 573 — 586 abgetan wird. Das
widerstreitet der Symmetrie, die sonst hier waltet. Aber gegen den Chortanz 590
ist von Seiten der poetischen Technik nichts zu sagen. Auch Erde und Himmel
483 — 489 haben ja kein Gegenstück, ebensowenig der Okeanos 607. Durch die
Gleichheit der Eingangsformel wird der Schild so gegliedert: i. Himmel und Erde
b^ yitt — ^euS€v; 2, die zwei Städte ^v bk — iroiiicc; 3. die drei BUder des
Pflügens, der Komemte und der Weinernte bi 6* M6€t 541 »550»- 561; 4. die
Rinder- und Schafweide iv 6^ . . irodice 573 -»587; 5. Chortanz ^v 6^ . . iroiiciXXc;
6. Okeanos iy 6* iridci.
* Lachmanns Athetese von 467—477 ist unmöglich, weil 478 den in 466 indi-
cirten Gegensatz nicht gibt. Der unhomerische Gebrauch von oöracc statt {ßoX€
in 467 ist gewiß ein Fehler, aber so gut wie der Letzte kann ihn auch ein Vor-
letzter gemacht haben. 466 fordert durchaus, daß Sarpedon irgend was statt des
Patroklos getroffen habe, wie Patroklos statt Sarpedons 463 den Thrasymelos ge-
tötet hat Also ist 467 das Roß Pedasos hier nicht zu entbehren. Wohl aber sind
470—477 entbehrlich. Da Patroklos bereits 426 abgesprungen war, ist 478 ganz
richtig: Sarpedons Speer, der das eine Roß des Patroklos tötete, war über dessen
Schulter hinw^geflogen.
Die TheHsscene im T 97
durch ihn sich die Gelegenheit fiir sie und die Einarbeitung der
Hoplopoie geschaffen hat, d. h. vom Verfasser unserer Ilias. Diese
Thetisscene ist nach dem Vorbild der schönen mütterlichen Scene
A 349 erdacht und gestaltet Ja, sie soll offenbar ein Gegenstück zu
ihr sein. Hier wie da kommt die Göttin zum Sohn im tiefsten Leid,
spricht ihm tröstend zu, ohne ihn doch recht trösten zu können, vom
traurigen Schicksal, das ihm droht, selbst bedrückt, hier wie da geht
sie zimi Olymp, ihm Göttergnade zu vermitteln; dort verschaffte si^
ihm die Zusage des Zeus, daß die Achaier besiegt werden sollten,
wenn er nicht mit ihnen kämpfe, und so seine Heldengröße im hell-
sten Glänze erstrahle, hier rüstet sie ihn zimi Entscheidungskampf,
der auch ihn dem Tode weiht Überall erkennt man, wie der Ver-
fasser unserer Ilias ins Große componirt hat Auch in Einzelhei-
ten von diesem Vorbilde abhängig (Z 54 vgL A 418; 73 = A 362; 76
vgl. A 409; 78 — A364; 94=A4i3; 95 vgl. A 417, 505; 143 vgl. A 571)
benutzt der Dichter zugleich die Hoplopoie 56 — 62 « 437 — 443,
VgL oben S. 90.
Bedenkt man, daß er die in Rede stehende for seine Ilias not-
wendige Vermittelungsscene zugleich benutzt hat, lun eine große,
vielleicht zu groß gedachte Ssrmmetrie herzustellen, und femer auch
um durch das Gespräch von Mutter und Sohn den Hörer zu rühren
und ihm die Schwere des Verlustes durch Achills eignen Mund zmn
Bewußtsein zu bringen, so daß er hier den Moment der Peripetie
empfinde und die Katastrophe erwarte, dann muß man gestehen,
dieser Dichter wußte zu componiren. Er wußte aber auch zuvorzu-
kommen und Erwartungen seiner Leser rechtzeitig abzulenken. Was
sie von Achill erwarteten, das läßt er ihn selbst aussprechen: jetzt
sogleich will er in den Kampf, Rache zu nehmen (114), ,halte mich
nicht ab von der Schlacht* (126). Aber Thetis hält ihn doch: ,du hast
ja keine Waffen.* So mußte der Verfasser unserer Ilias dichten, wir
wissen warum. Jene Stelle liest sich wie eine Entschuldigimg. Aber
die alte Patroklie wußte nichts davon, daß Patroklos in Achills
WaflFen kämpfte, sie hatte also keinen Gnmd, den Achill das Natür-
liche nicht tun zu lassen, sofort zu helfen und zu rächen. Daß sie
wirklich dahingezielt hat, beweist mir die Botschaft an Achill. P 640
fordert Aias, als er die allgemeine Niederlage der Achaier bemerkt,
es solle einer aufs schnellste dem.Peliden Meldung bringen, ,denn ich
Batbe, Homer 7
r 2^ die Crrenze der alten PatrokUe 99
kaum angeführt werden: xeiTm ITdTpoKXoc . . . drdp xd ye xeiixc' ^X^*
KOpuOoioXoc "GicTUjp. Denn so auffallend es auch ist, daß an diesen
Stellen nicht der Verlust von Achills Waffen betont wird — was
doch für den Hörer von größter Wichtigkeit ist — , wer nicht meine
Oberzeugimg teilen will, daß der Dichter dieses Verses gar nicht
an Achills, sondern einfach an Patroklos' Waffen gedacht habe, der
kann gewiß scheinbare Gründe anfuhren, insbesondere den, daß der
Verfasser unsere Hias so wie er verstanden habe. Aber wenigstens
die Möglichkeit meiner Auffassung wird jeder zugeben und für die
Eile der Todesbotschaft an Achill (P 640) dürfte eine andere Erklä-
rung kaum auffindbar sein als die eben gegebene: Achill soll helfen.
Das kann er aber nur, wenn er seine Waffen hat. Also wird dem
Achill gemeldet: Patroklos ist tot imd seine Waffen hat Hektor ge-
raubt. So könnte Z 2 1 noch zur alten Patroklie gehören. Dann aber
beginnt die Einarbeitung. Z 22 — 24 mögen noch der Patroklie ge-
hören, aber die grelle Schilderung maßlosen, bis zum Selbstmord-
versuch gesteigerten Schmerzes ist ihr fremd. Sie konnte das nicht
brauchen. Nicht verzweifeln ließ sie Achill, sondern eilen, zu helfen,
zu retten, zu rächen. Wohl aber mochte der Verfasser unserer Ilias
sich veranlaßt fühlen, hier grelle Farben aufzutragen, weil er hier
die Peripetie seines Epos zu markiren hatte imd die gänzliche Ver-
wandlung Achills aus dem unversöhnlichen der Airai ziun hochherzig
entgegenkommenden des T durch die tiefste seelische Erschüttenmg
zu motiviren versuchte.
So ist hier Z 25 die Ghrenze gefunden. Aber ich will damit mm
nicht sagen, daß TIP von den ausgesonderten Stücken abgesehen
die alte Patroklie darstellen. Sie tragen noch manche deutliche Spuren
von Umarbeitungen und bedürfen eindringender Analyse. Auf einige
muß ich später noch eingehen. Hier mögen wenige Andeutimgen
für P genügen. So deutlich die ursprüngliche Patroklie in der An-
deutung des Zweckes der Botschaft an Achill zutage tritt, so sicher
ist P 709 f von der Hand ihres Bearbeiters. Da sagt Menelaos dem
Aias, der ihn 652 entsandt hatte: ,Ich habe den Antilochos zu Achill
geschickt, doch glaube ich nicht, daß er jetzt kommen wird — trotz
seines Zornes auf Hektor, denn waffenlos wird er nicht mit den
Troern kämpfen.' Hier wird das Ursprüngliche, die Herbeiholung
Achills,mit der durch den Waffentausch herbeig^zwungenen Kampf es-
Aniilochos. Forttrageti der Leiche des Patroklos lOl
ist nicht abzusehen, welchem ^w§tke» diese Scene in der alten Pa-
troklie dienen konnte, die doch Achill ?ii.-IJilfe holen ließ, ihn also
auch die Leiche retten lassen mußte — naturKch/durch Vertreibung
der Troer. Eine Spur einer solchen Scene konrifo* vielleicht In Z 151 ff
gesehen werden. Da entwickelt sich nämlich trotz 'P >i4,.-'5[3^, 760
wieder ein Kampf um die Leiche. ,Nicht vermochten die •Achaier
den Patroklos aus den Geschossen herauszuziehen, denn jeden tr'ä^ii -;> ^
die Troer, dreimal packte Hektor hinten die Füße, dreimal stießen '•
die Alanten ihn von der Leiche zurück, aber er ließ nicht nach; und
er hätte ihn an sich gerissen, wenn — Achill nicht seinen Schlacht-
ruf hätte erschallen lassen.*
Lachmann hat auf den Widerspruch zur Schlußscene des P hin-
gewiesen. Er ist vorhanden, aber durch die einleitenden Verse
Z 149 f verschleiert, ,die Achaier flohen vor Hektor und kamen an
den Hellespont*. Die folgende Scene spielt also ebenda, wohin
P 736 und 760 weisen, dicht vor dem Schiffslager am Graben {760),
an dem Achill Z 215 erscheint Auch ist diese Schilderung Z 151
bis 165 so kurz und conventionell, sie arbeitet mit Mitteln wie xpic
— Tplc 155, vgl. Z 228, n 702, E 436, \md Ktti vu k€ — €l fif| = T 373>
vgl. E 679 — 211, V 154, e 130 — A 310, 217, Z 73 — P 3191 P 70»
n 698 «- 544, daß man geneigt sein wird, in ihr ein jüngstes Ver-
bindungsstück zu sehen. Aber gerade dann sucht man einen Grund,
warum wir hier wieder in den Kampf um die hin und her gezerrte
Leiche versetzt werden, den P 724 die Energie des Aias durch
Forttragen zum Schiffslager beendet hatte. Er liegt, scheint mir,
in dem Wunsche, den Achill selbst trotz seiner Waffenlosigkeit
den Leichnam seines Freundes retten zu lassen. Das ist eben das
Motiv, das die alte Patroklie durch die Sendung eines Boten an
Achill in höchster Gefahr vorbereitet. So möchte ich glauben, daß
dies hier noch in dem vom Verfasser unserer Uias gedichteten Ver-
bindungsstücke Z 151 ff nachwirkt, da er es selbst nicht benutzen
müssen, ebenso 643 fT. So dürfte erst er den Kampf um Patroklos' Leiche zu einer
Aristie des Menelaos umgestaltet haben, ohne doch den eigentlichen Helden Aias
eliminiren zu können und zu wollen. Sein Beweggrund, den Menelaos herauszu-
streichen, ist offenkundig. Menelaos, der als Gatte der Helena einer der ersten
Helden sein sollte, spielt bis auf P eine gar kümmerliche, eigentlich keine Rolle.
Das ging nicht gut an : so ist denn hier bei der letzten Gelegenheit — denn neben
Achill konnte er nicht auftreten — noch einiges Rühmens von ihm gemacht
1 148 — jtf<? 103
nur zur Vermittelung und Vorbereitung. Totenklage um Patroklos
war hier nicht gut zu umgehen, aber sie wird kurz abgemacht 3i5fF,
da sie T 283 — 338 noch einmal aufgenommen wird. Sie nimmt 330
das Motiv von £ 59, 89 auf: Achill muß nun auch in Troia sterben.
Dann verkündet er seinen Racheplan: Hektor will er toten 334,
zwölf edle Troer will er am Scheiterhaufen schlachten (336f — V 22 f),
indes sollen die kriegsgefangenen Weiber ihn beweinen. Dann wird
der Leichnam gewaschen und aufgebahrt.
Vorher geht eine Beratung der Troer 1 243 — 314. Pulydamas
rät, lieber hinter die Mauern der Stadt sich zu bergen, da Achill
nicht mehr dem Agamemnon zürne (257). Hektor weist ihn zurück,
ordnet Biwak und Wachen an und erklärt 305: ,wenn wirklich sich
Achill erhob, desto schlimmer far ihn; ich werde ihm entgegen-
treten.^ Die Troer stimmen ihm lärmend zu, dem Pulydamas nie-
mand. Athene verblendete sie. — Das ist alles wohl bedacht Nach
der übermenschlichen Wirkung, die schon das Erscheinen des unbe-
waffiieten Achill 1 2 23 ff auf die Troer ausgeübt hatte, bei der Auf-
bietung so vieler Götter zu Achills Hilfe fühlt sich der Dichter ver-
anlaSt, die Erwartungen seiner Hörer zu dämpfen. Er braucht sogar
Athene, die Verblendimg der Troer glaubhaft zu machen. Denn
ganz töricht wollte er sie doch nicht zeichnen: so entnahm er aus
der Teichomachie M 2io£f den verständig ratenden Pulydamas —
£ 250 weist auf sie zurück, Z 284 — 286 sind aus M 23of, 235 entnom-
men — und stellt ihm nach dem Vorbilde jener Scene wirkungsvoll
den Hektor gegenüber, den sein Mut in den Tod jagt Er brauchte
die Feldschlacht, um für Achills Heldentaten im YO genügenden
Raum zu erhalten. Zugleich aber schafft er mit dieser Troerberatung
ein Gegenstück zu jener am Ende des 6, die die entscheidenden
Erfolge der Troer eröffnet So rahmt er den größten Tag Hektors
ein, gleichzeitig gewinnt er durch Pulydamas eine Beziehung zmn
Mauersturm im M. Achills Übermacht wird im ängstlichen Rat des
Pulydamas, Hektors Größe in seiner mutigen Rede dargestellt Von
diesen Gesichtspunkten aus stellt sich auch diese Scene als ge-
schickte und wohl gelungene Leistung dar. Den Verfasser der Ilias
kann man in ihr nicht verkennen, bündigen Beweis bringt seine Benut-
zung des SH (l276f— 303f— e53of; 1310 — 9542; l298f— H 37of):
denn diese Partien stammen, wie sich zeigen wird, von ihm selbst
VerhäUnis der AITAI zu und A 105
niedrigt und solche Anerbietungen macht? wie sollten Helden wie
der gewaltige Diomedes, der den Aineias geworfen und selbst
den Ares bestanden, und Aias, der eben den Hektor besiegt hatte,
sich zu dem Bekenntnis verstehen, daß sie nicht einmal ihre Mauer
gegen Hektor verteidigen können? Ebenso unerwartet ist Achills
Verhalten nach dem, was das A erzählt und wie es ihn geschildert
hat So hart er mit Agamemnon streitet, unversöhnlich ist er da
nicht. Auf Nestors Zureden (A 254) erklärt er sich, nachdem er eben
noch ans Schwert gegriffen, bereit, Briseis ohne Kampf hinzugeben
(299). Heeresfolge freilich verweigert er dem Herzog, damit der
erkenne, wenn unter Hektors Streichen die Achaier fallen, daß er
den Besten nicht geehrt (240, 410) — aber doch nur, solange ihm
nicht Genugtuung gegeben ist Das geht unzweideutig aus Thetis'
Bitte an Zeus hervor (509) :
TÖq)pa b' ^TTi Ypdiecci xiOei Kpaioc, öq)p' fiv *Axaioi
u\öv ^jLiöv Ticujci öq)^XXujciv t^ i ti|iQ.
Das ist es, was Zeus zusagt Im 61 geschieht genau dies: Achills
Wunsch, das Versprechen des Zeus ist erfüllt — wie kann Achill
die unerhört köstlichen Sühngaben abschlagen und verweigern, was
er so heiß ersehnte? Denn das hat das A uns eingeprägt, daß er
während der erzwungenen Kampfesruhe sein Herz verzehrte in Sehn-
sucht nach Krieg:
491 äXXd q)6ivu6€CK€ q)iXQV Kfip
ai56i )Li^vu)v, Tro0^€CK€ V duxriv t€ tttöXciliöv t€.
Dieser Achill begegnet uns wider A 609, wie er die Niederlage
beobachtet und jauchzt ,bald werde ich sie zu meinen Füßen flehend
sehen^ und TT 85, als er denPatroklos ziehen läßt, ihm aber befiehlt,
nur ja nicht mehr zu tun, als die Schiffe vor dem Feuer zu retten,
damit er ihm nicht die große Buße und den Ruhm nehme, ,sondem
die Danaer ihm Briseis imd herrliche Gaben gebend
Ich habe im 2. Stück ausgeführt, wie grundverschieden der
Achill der Aiiai von dem der Patroklie ist Ebenso verschieden ist
er von dem Achill des A. Die Aixai passen weder hier noch
da an, sie stehen fremd in der Ilias. Sie sind aufgenommen, weil
der Verfasser unserer Ilias eine Pause brauchte, die die unendlichen
Kämpfe wohltuend unterbreche und den großen Mittelakt des Epos
Analyse des Q 109
rück und kommt 438 selbst auf den Olymp, seinen Willen zu künden,
daß am folgenden Tage Hektor so lange siegen solle, bis Achill sich
erhebe, wenn man um die Leiche des Patroklos bei den Schi£Fen
kämpfe (0 470 ff). Diese Partien dem Verfasser imserer Ilias zuzu-
sprechen, veranlaßt überdies die Beobachtung, daß hier wie in dem
unmittelbar anschließenden Sonnenimtergang und dem Troerbiwak
über die nächsten Zwecke, die Vorbereitung des I K, hinaus auf den
Zusammenschluß der ganzen Ilias hingewirkt wird.
Wie Zeus 6 47off Hektors Sieg, Patroklos' Tod, Achills Eingreifen
voraussagt,* so kündet Hektor 6 53oflF den Kampf an den Schiffen
für den morgigen Tag an. Und hier zeigt sich nun auch eine, wie
mir scheint, geschickte Verknüpfung mit dem Voraufgegangenen.
Hektor ist begierig, ob Diomedes ihn morgen zurücktreiben werde
6 532. Denn Diomedes war von A 365 an der überragende Held
gewesen und ist es auch noch im 6 selbst, wo schon 165 Hektor
ähnliche Worte ihm selbst zugerufen hatte, an die der Dichter hier
wohl denkt Dieselbe erste Heldenrolle spielt Diomedes auch im
Anfang und Schluß des I, wo er 30 den Fluchtgedanken Agamem-
nons abweist und 697 ihm nach Achills Ablehnung stolz erklärt:
,du hättest ihn überhaupt nicht anflehen sollen imd zahllose Geschenke
bieten; jetzt wollen wir ihn lassen und selber kämpfen.' Diomedes
ist es auch, der K 219 sich sogleich zum kühnen Wagnis des nächt-
lichen Kundschafterganges meldet Das paßt alles vortrefSich zu-
sammen.
In diesen, von ihm selbst geschaffenen und mit den verschiedenen
Teilen seines großen Werkes verzahnten Rahmen des 6 hat nun der
Verfasser unserer Ilias zwei Schlachtschilderungen eingespannt, die
Heras Gespräch mit Poseidon und das von ihr angeregte Auftreten
Agamemnons voneinander zugleich scheiden und verbinden: die
Rettung Nestors durch Diomedes 680 — 198 und die Aristie des
Teukros 6 216 — 334. Sie müssen einläßlich behandelt werden.
Jenes bildet eine in sich geschlossene Erzählimg, deren drei Hel-
den Hektor, Diomedes, Nestor das Interesse ganz und gar auf
sich concentriren. Alle Helden, heißt es 6 78, wichen den Troern,
nur Nestor blieb, da ihm Alexanders Pfeil eines seiner Wagenrosse
* Ober diesen Wahrspnich s. 8. Stück, Anm. 2.
6 • Hektar^ Eniopeus, Archeptolemos^ Teukros 113
stand zurückzubringen; daran macht er sich sofort Er lenkt den
Blick mit 130 ins Allgemeine ab und läßt Zeus blitzen, nachdem er
dem Heldentum Diomedes' durch den — allerdings verfehlten — An-
griff gegen Hektor, den er im E gemieden, genug getan hat Er
benutzt den Tod des Eniopeus aber noch, um wieder eine Klammer
einzulegen 6 125 — 129. Auch hier setzt er sich über die Wahrschein-
lichkeit hinweg. Dem wilden Diomedes gegenüber müßte Hektor
sogleich zum Angriff übergehen, einen neuen Wagenlenker zu suchen
hätte er keine Zeit gehabt; so macht er's nach Kebriones' Fall TT 755.
6 126 aber erzählt: ,nicht lange entbehrten Hektors Rosse des Len-
kers, sogleich fand er den Archeptolemos, den er aufsteigen imd die
Zügel ergreifen ließ/ Aber das scheint zwecklos, denn von beiden
ist nun keine Rede mehr. Erst 6312 erwähnt Archeptolemos wieder,
imd zwar in dem ihm 128 anvertrauten Amte; er wird hier von
Teukros neben Hektor erschossen. Also um diese Stelle der
Teukrosaristie vorzubereiten, dienen 126 — 129. Und da sehen wir,
daß jene Stelle dieser auch als Vorbild gedient hat Dort wie hier
wird Hektors Wagenlenker getötet und sogleich durch einen neuen
ersetzt Nur ist, was 6 126 vor dem unmittelbar anstürmenden Dio-
medes auffallig ist, in der Teukrosaristie 6318 aus der Situation ver-
ständlich, weil Teukros von fern her den tödlichen Pfeil geschossen
hat imd Hektor, um auf den Schützen ^losgehen zu können, seinen
Wagen einem Lenker übergeben muß. Der Dichter der Nestor-
Diomedes-Episode hat aus der Teukrosaristie 302* —119', 313^ — 317
— 121** — 125 einfach übemonmien. Wer der Entlehner ist, kann
nicht mehr zweifelhaft sein.
Der Dichter des 9 hat also diese erste der in seinen Rahmen
eingespannten zwei Episoden 6 78 — 197 selbst gedichtet Sie steht
zu dem Rahmen des 6 durchaus in Harmonie, sucht wie dieser nach
vom und hinten Verknüpfungen mit den andern TeUen der Hias, ist
in sich klar disponirt imd bUdet ein geschlossenes Bild der drei Helden
Diomedes, Nestor, Hektor, die am Schluß 6 192 ff noch einmal scharf
zusammengefaßt werden. Die Eigenschaften, die der Verfasser un-
serer Ilias als Schöpfer eines großen Epos auf Grund älterer Dich-
tungen haben muß, treten uns hier deutlich entgegen.
Der Dichter des 6, d. i. der Verfasser unserer Ilias, ist in seinen
Mitteln nicht wählerisch. Wie er scharf aufs Ziel losgeht, nimmt er,
Beth«» Homer 8
6 o/r VefmiieltmgssHick, Ausscheidung der AITAI 115
Nach Diomedes' stolzer Rede bequemt sich dann Agamemnon auf
Nestors Rat zum Letzten, Achill Sühne zu bieten und seine Hilfe zu
erflehen. Damit ist der Anschluß an die Airai erreicht
Ihren Schluß bilden Rückkehr und Berichterstattung der Ge-
sandten« Aber mit I 695 beginnt wieder der Verfasser unserer Ilias
seine Arbeit Mit denselben Versen wie I 30/3 1 fuhrt er 695 wieder
den Diomedes ein und läßt ihn wie dort Agamemnons Verzagtheit
en^egentreten, während er in den Airai selbst weder eine Rolle
spielt noch erwähnt wird. Er ist hier um der Dolonie imd des A
Willen wieder klüglich in den Vordergrund geschoben wie im 6 und
Anfang 1, um so eine innere Verbindung mit E herzustellen« So hat
es der Verfasser imserer Ilias erreicht, daß Diomedes in diesen
ersten Kämpfen E — A den ersten Rang erhalten hat®
So scheiden sich die Airai auch äußerlich glatt von ihrer Um-
gebung ab, wie sie sich inhaltlich absondern durch das Totlaufen-
lassen des Menismotivs und die Charakterzeichnimg Achills als eines
* Nach V. Wilamowitz, Berl. Sitz.-Ber. 1910, 380 gehört die zweite Rede Nestors
I 96 — 113 bereits ganz zum eingearbeiteten Einzelgedicht Airaf, das sei deutlich,
sie zeige deren Stil. Ich hätte die Gründe dafür gern entwickelt gesehen, denn
ich habe die entgegengesetzte Meinung. Ihr Stil scheint mir dem seiner ersten
Rede I 53 — 78 nicht übel zu entsprechen. Hier wie da dieselbe kluge, vorsichtige
Art: wie dort Diomed, so wird hier Agamemnon mit ehrenden Worten begrüßt,
dann weist er beide Male auf sich und seine anerkannte Klugheit, um dann mit
vorsichtiger Schonung Agamemnons endlich seine Meinimg zu sagen. Beide Re-
den sind selbständig gestaltet, ohne Enüehnimgen. — Die Ursprünglichkeit Nestors
in den AiToi wird mir vor allem dadurch verdächtig, daß Nestor von I 182 an
überhaupt nicht erwähnt wird, ja ich würde sogar die Erwartimg für berechtigt
halten, ihn selbst vor allen als Gesandten bei Achill zu sehen. Daß er nicht selbst
die Vermittelung übernimmt, wie das seiner hier geschilderten Stellung und der
ihm entgegengebrachten Achtung entsprechen würde, auch keiner ihm dies zu-
mutet, ist mir ein Beweis, daß der Dichter der Airai ihn überhaupt nicht als weisen
Berater und Vermittler gekannt, jedenfalls nicht verwendet hat, sondern den Odys-
seus und Phoinix. Nestor ist im I nur dazu da, um durch Ausstellen der Wachen
das K vorzubereiten und die Bittgesandtschaft in die Wege zu leiten, d. h. er ist
vom Verf. unserer Dias hier verwendet, um divergirende selbständige Einzelge-
dichte mit seinem Epos zu verbinden. Dafür spricht auch der Rückweis I 109 auf
A 275: ist das doch eine seiner charakteristischen Eigenheiten, durch solche Ver-
weise sein Epos zu verklammem. Ich betrachte deshalb den ganzen Anfang des
I 1^181 als Verbindungsstück unseres Verfassers, nur 116— 161 werden den AiToi
entnommen sein: auch sie gedenken mit keiner Silbe des Nestor.
8*
^ för unsere Utas unenthehrhch 117
ein anderer Dichter aber ,eine vorhandene Ilias< um die beiden
Einzelgedichte der Aixai I und Dolonie K erweitert und von H über
I und K zu A und weiterhin eine Brücke geschlagen. Er hat seine
Grfinde für diese Aufstellung nicht entwickelt So ist es kaum mög-
lich, sich mit ihm auseinanderzusetzen, zumal er nicht gesagt hat, wie
er sich denn jene Ilias denkt, in die erst 6IK eingesetzt sein sollen«
Sie müßte jedenfalls von der unsem recht verschieden gewesen sein.
Denn wie Rothe (Ilias als Dichtung 223) treffend bemerkt hat, gilt
das Einmischungverbot des Zeus im 6 in der Tat bis Y 25, wo Zeus
es aufhebt^ Vor 6 und nach Y 25 sind die Gotter bei den Kämpfen
gegenwärtig und greifen hilfreich oder feindlich oft genug ein. Wenn
N 3, 10, 357 betont wird, daß Poseidon heimlich sich unter die Achaier
mischt und 1 7 Zeus die Hera mit Prügeln bedroht und sein Ver-
bot erneuert, so sind das deutlich Rückweise auf 6 1 2, 7. Ich wüßte
nicht, wie man sich der Schlußfolgerung entziehen könnte, daß eben
derselbe Mann, der das 9 gedichtet hat, auch die Mittelbücher so,
wie wir sie lesen, zurechtgemacht habe. Trotzdem trete ich in die
Diskussion ein, um eine principielle Frage zu besprechen, Die Gründe,
die V. Wilamowitz zu jener Behauptung veranlaßt haben, sind näm-
lich nicht zum wenigsten stilistischer Natur, wie er S. 401 andeutet
und mir bei brieflichem Meinungsaustausch im Mai 19 10 bestätigte.
Er fügte hinzu, auch er habe vor einigen Jahren die Ansicht gehabt,
die ich ihm damals mitteilte, daß der Dichter des 6 mit dem Ver-
fasser unserer Ilias identisch sei. Ich vertrete sie heute noch, denn
sie ist mir nach vielfacher Überleg^img nur um so sicherer geworden.
Die Berechtigung stilistischer Kriterien, so wichtig sie mir bei der
Homeranalyse sonst auch erscheinen, ist mir in dieser Frage be-
denklich. Denn wer ein großes Epos aus verschiedenen selbständigen,
einander fremden Stücken nach großen Gesichtspunkten in der Art
zusanunenbaut, wie ich das an imserer Ilias nachweise, der darf
einen eigenen Stil nicht haben. Denn er hat hier ja nichts Eigenes
zu gestalten, sondern nur Verbindungen zu schaffen, Situationen
vorzubereiten, Widersprüche zu verdecken. Er muß sich überall an-
* Als Verletzung des Zeusgebotes kann man nicht gut die hamüosen Eingriffe
A 45 und 438 geltend machen: hier verhindert Athene, daß der Speer des Sokos
dem Odysseus in die Eingeweide dringt, dort donnert sie mit Hera zusammen,
den Agamemnon zu ehren.
Der Sta in und der S/iI m TT 119
Bahn zu lenken. Das war weder im 6 noch in ZT ganz leicht, weil
weder hier eine Niederlage mit solchen Folgen, wie sie das I schil-
dert, zu erwarten war, noch im Z die rechtzeitige Abwehr der Troer
ohne Achills WafFenhilfe, noch im T seine Versöhnung. So werden,
die Götter bemüht, das kaimi Mögliche möglich zu machen, und grell
wird der Erfolg ihrer Wunder auf die Menschen geschildert je nach
Bedarf im 6 auf die Achaier, im Z auf die Troer. Mit Doimer und
Blitz fahrt Zeus 6 133 in die Achaier hinein, Hektor erkennt darin
glückliche Zeichen 6 175, die Achaier drohendes UnheU 6 141, I 21
— in diesem Zusammenhange soll der aus B 1 1 5 entnommene Vers
so verstanden werden — , I 236. Im Z stellt Hera den waffenlosen
Achill an den Grraben, und allein durch seinen Schlachtruf und seine
von Athene imistrahlte Erscheinimg scheucht er die Troer zurück,
Thetis besorgt ihm in einer Nacht göttliche Waffen, T 35 ist sie es,
die ihm rät, er solle seinem Zorne absagen, imd ohne Widerrede ge-
horsam versöhnt er sich mit Agamemnon, Athene stärkt T 353 auf
Zeus' Befehl den fastenden Achill mit Nektar und Ambrosia, die sie
ihm in die Brust träufelt, wie T 38 Thetis die Leiche des Patroklos
durch das gleiche Mittel conservirt Mit ähnlicher Übertreibung
wird die Wirkung der Niederlage auf Agamemnon geschildert wie
die des Erscheinens Achills auf die Troer und die der göttlichen
Waffen auf die Myrmidonen. Es ist doch dieselbe Mache, wenn es
I 10 heißt, Agamemnon habe die Fürsten mit leiser Stimme zusam-
menbitten lassen aus Furcht vor den nah biwakirenden Troern,
imd weim Z 246 die Troer sich nicht niedersetzen bei ihrer Beratung,
so sehr hatte sie Achills Erscheinen erschreckt, oder Z 230 zwölf
beste Troer mit ihren Gepannen durch den Schrecken seines Rufes
zu Grunde gehen, oder T 15 die Myrmidonen alle zittern beim An-
blick der Hephaistoswaffen, oder T 365 Achills Augen sprühen und
Zähne knirschen, als er sie anlegt 6 485 unterbricht der Sonnen-
untergang die Schlacht, ebenso Z 239, wo sogar Hera ihn vorzeitig
herbeifuhrt Lachmann hat das im 6 getadelt und bemerkt, der
Rückzug der Troer vom Achaierlager (345) werde eigentlich nicht
erzählt, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt (490), um so-
gleich zur Troerversammlung überzugehen. Dasselbe sehen wir
Z 243: auch hier wird nach plötzlichem Sonnenuntergang, weil der
Dichter die Schlacht abbrechen muß, der Rückzug der Troer nur
Die Achcdermauer 121
Büchern immer wieder erwähnt Nicht nur concentrirt sich im M das
Interesse auf sie, wo sie trotz tapferer Verteidigung gestürmt werden,
auch in der köXoc fxdxil 6 brandet zweimal an ihnen die Schlacht,
die Schilderung der wechselnden Kämpfe im Lager OTTZ vergißt
sie nicht, sogar noch Q 443 muß Priamos sie passiren, um zu Achill
zu dringen.
Die Vorstellung der Achaiermauer, einmal hingestellt, wird immer
wieder bis zum letzten erneuert Auch das gibt einen zwingenden
Beweis für die Einheitlichkeit und Planmäßigkeit unserer Dias.* Ge-
wiß sichern überall imd zu allen Zeiten Angreifer ihre Lagerstätte
so rasch und g^t als möglich, aber so selbstverständlich solche Hand-
lung in Wirklichkeit ist, far die Dichtung ist sie das nicht Unsere
Ilias zeigt es. Man hat daran Anstoß genommen, daß der Dichter
erst im zehnten Jahr den klugen Nestor auf den Gedanken der Be-
festigimg kommen läßt, noch dazu nach einem siegreichen Gefecht
Dieser Anstoß ist ebenso berechtigt imd unberechtigt wie der, daß
erst im zehnten Jahre Menelaos den Paris herausfordert und Helena
dem Priamos die Achaierfürsten zeigt Der Dichter muß diese Haupt-
personen, um die sich der Krieg dreht, vorstellen, also tut er's, und
zwar auf die lebendigste Art, ohne die Verspätung pedantisch zu ent-
schuldigen« Hier braucht er die Achaiermauer, also läßt er sie bauen.
Ein späterer Pedant würde statt dessen die schon lange bestehenden
Festungswerke geschildert haben. Das entspricht nicht dem Stil
dieser Dichtung: sie beschreibt nicht, sie läßt handeln. Es ist gleich-
g^tig, ob sie's für schöner hält, oder ob sie nicht anders kann. Den-
noch hat jener Anstoß einige Berechtigung. Warum nämlich muß
denn überhaupt die Befestigung des Schiffslagers in besonderem
Anlauf geschildert werden? Hätte es nicht genügt, sie einfach vor-
auszusetzen imd bei gegebener Gelegenheit zu nennen? Ist sie ja
doch nicht weniger selbstverständlich als die Mauern von Dios. Nie-
mand hätte etwas Auffallendes dabei gefunden, wenn der Dichter,
statt uns den Mauerbau am Ende des H zu erzählen, etwa im Anfang
e gesagt hätte, die Achaier zogen durch ihren Wall imd über ihren
■ So auch Kocks Einheit der Ilias, G.Prog. 1890. Über v. Wilamowitz' Ver-
such, den Mauerbau 1^325—344-^-433—465 als ganz spätes Einschiebsel eines
mntteriändischen, aber nicht attischen Rhapsoden auszusondern, s. 13. Stück, Anm 4.
folgt die Wendung durch Ag^rsesmanf ^
entsprechend jener Siruation heißt es i f.t ^ J3»s^ -
Rosse aus dem Graben den Feinden earx'ex^"
die Troer die Achaier "Brieder z^ezer. £«£ *-J^^
diese fiehen .durch den Verhau iml 5er «jrrs^»^
tzlz.z'- vor ce::i Durchir2.i.e sch-wer Trc 5fir »«
L'a .ezi;: cer i.'::n:er au: cue «j-cnrr a~ iis- ■»*-•*• -- .
u^'r r ^p-T- "^ die S»c-.Iiiiht c^— ^'T- ehe e— ^rr^i^ ^- *
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Die Achaiermauer im K 125
besser und sicherer gekonnt hätten (vgL K 12); aber das tun sie nicht
einmal, sondenii als sie sich aus den schützenden Mauern, Wachen
und Grräben zwecklos tollkühn in die Grefahr des freien Feldes an-
gesichts des Feindes begeben haben und ihr bequemes helles Zelt
mit einem dunklen Platz zwischen Leichen vertauscht haben, fragt
Nestor nur, ob nicht jemand das Wagnis unternehmen mochte, ins
Troerbiwak zu gehen und an dessen Rand einen Feind zu packen
oder etwas dort zu erfahren. Doch welche Unwahrscheinlichkeit
sieht man nicht gern einem Dichter nach, wenn er sie zu einer
Schönheit seiner Poesie verwendet? Aber diese hier ist ganz imd
gar zwecklos. Sie dient nicht einmal, den Mut der Fürsten hervor-
zuheben oder eine Stimmung der Angst und des Grausens zu bereiten.
Hier ist ein Anstoß, der zunächst imbegreiflich scheint Dergleichen
aufinizeigen imd recht hell ins Licht zu stellen, ist die erste Pflicht
der Analyse. Erst wenn das Problem scharf erfaßt ist, kann man auf
Losung ho£fen. Nun hat sich der Verfasser, jedenfalls von dem hier
verfolgten Gesichtspunkt aus, bisher consequent und verständig ge-
zeigt: ich fühle mich dadurch zur Behauptung berechtigt, daß er hier,
wo wir auf Unbegreifliches stoßen, einem äußeren Zwange hat nach-
geben müssen. Denn an Interpolationen ist in diesem wohlgefugten
Zusammenhange nicht zu denken, der sich bis in den Anfang I, wo
die Wachen ausgesetzt werden, imd bis ins 6 erstreckt, wo die Vor-
aussetz\mg für I K erst geschafifen und am Schluß das Biwak der Troer
und Hektors Pläne ausfuhrlich gezeichnet waren.
Diomed und Odysseus unternehmen das Wagnis. Beides gelingt
ihnen, was Nestor 206 einzeln als erwünscht zweifelnd hingestellt
hatte.' Mit Dolens Beute kehren sie auf Rhesos' Rossen zurück.
Nestor hört 532 als erster den Hufschlag, und die Fürsten sind es.
• Über Hektors Pläne erfahren sie von Dolon nichts 415. Unser Text läßt
sie ihn zwar auch danach fragen 409—41 1, aber diese Verse sind von Aristarch mit
Recht athetirt, weil die Antwort hätte erwungen werden können und müssen. Den
Auftrag dazu hatten sie freilich erhalten K 209 — 210 (*= 409—411), ihn hat Aristarch
itehen lassen. Auch das mit Recht, wie 211 lehrt. Aber sie geben eine Erklärung
vcm 207 d nvo 9f)^iv iy\ TpUiccci TrieoiTO, womit auch die von Dolon wirklich ge-
gebene Kunde bezeichnet sein könnte, und fügen andrerseits als Zweck der Ent-
sendung noch den der Kundschaft hinzu, den Menelaos K 38 geäußert hatte. So
durfte in 208—211 eine Überarbeitung dessen zu sehen sein, der jene in die Utas
eingearbeitet hat
Auslösung der Dolanie 129
War nun die Dolonie ein Einzelgedicht, so muß alles, was sie
vorbereitet, demjenigen zugesprochen werden, der sie in die Hias
einarbeitete. Das ist nicht wenig. Außer K i — 198 auch der Anfang
des I, das ganze 6. Da diese beiden zugleich der Vorbereitung der
Bittgesandtschaft dienen I 89 — 692, so ergibt sich auch von dieser
Seite her eine hohe Wahrscheinlichkeit für die von der anderen ge-
wonnene Sicherheit, daß jene großen Stücke vom Verfasser imserer
Ilias gedichtet sind« Dabei ist wichtig zu beobachten, wie er sorg-
fältig die Situation der Dolonie ausgenutzt hat Bis unmittelbar an
den Graben fuhrt er 6 213 und 342 die Schlacht: so versteht man,
daß die Fürsten sich K 199 einen von Leichen freien Platz dort suchen.
Vor dem Schiffsl^er in freiem Feld läßt er 6 490 die Troer biwa^
kiren. Mit Benutzung von K 199 läßt er auch die Troer erst nach
einem von Leichen freien Platz für ihre d^opd suchen. Nach dem
Vorbild von K 311 läßt er 9 510 Hektor die Sorge äußern, die
Achaier mochten die Nacht zur Abfahrt benutzen, und wirklich
läßt er Agamemnon I 26 die Flucht vorschlagen: imter der Voraus-
setzung des schutzlosen Schiffslagers, wie sie die Dolonie hatte, ist
das verständlich, unter seiner eignen vom wohlverschanzten Lager,
das im M erst nach schwerer Mühe gestürmt wird, ist es verwimder-
lich. Man sieht, wie stark der Verfasser unserer Hias hier unter dem
Einfluß der Dolonie stand.
an Vorsicht und Begleitung denkt er nicht. Mir scheint es ausgeschlossen, dafi
diese sorgfaltig durchdachte Gegenüberstellung von zwei verschiedenen Dichtem,
wie Witte will, herrühre, von einem originalen die Troerscene, von einem imge-
schickten unselbständigen Nachdichter die Achaierversammlimg. — Auch darin
kann ich ihm nicht beistimmen, dafi schon 513 unverständige Nachdichtimg be-
ginne. Er meint, von 513 an führen Diomed und Odysseus zu Wagen (537, 529),
während Odysseus nur Rosse des Rhesos zusammenbinde 499, also vor sich her-
treibe, und Diomed den Wagen nicht mehr rauben könne (509 ff); aber bei ihrer
Rückkehr bewundert Nestor 545 nur die Rosse, von dem 438 als überaus prächtig
geschilderten Wagen sagt er kein Wort. Also hat sich dieser Dichter von 545 so
wenig wie der von 505 ff vorgestellt, dafi auch der Wagen geraubt sei und beide
zurückgefahren seien. Folglich mufi notwendig Yinruiv itrcßiPiccTO 512 und 529 so
heißen, wie es Aristarch und einstimmig, scheint's, die Alten (Schol. 513, 499) ver-
standen haben: Diomed stieg auf das Pferd und ritt, so wunderlich das auch
ist und so wenig es durch das Zusanunenkoppeln der beiden Pferde 499 erklärt
Bethe, Homer 9
Die Achaiermauer m AM 133
verlieren Hektor aus den Augen. Die Aianten ermahnen die
Achaier. Es stieben die Geschosse von hüben und drüben wie die
Flocken im Schneegestöber 276 — 289. Dasselbe Gleichnis, nur nicht
so breit, mit derselben Anwendung steht bereits 155 — 161 bei der
Angri£fsschilderung des Asios und der Seinen. Ist das Homerische
Sitte? Wiederholt sich so ein Dichter?
Man hat die Asiosscene M 108 — 199 als späteren Einschub aus-
gesondert Dafür hätte angeführt werden können, daß in diesen
Versen der Grraben, von dem dicht vorher die Rede war (50 — 79),
nicht erwähnt wird, auch nicht denkbar ist Denn Asios will auf
seinem Gespann ins offene Lagertor fahren (120), wie er die Achaier
das 119 tun sieht Man könnte sagen, vor dem Tor sei ein Damm.
Aber vor dem andern Tor, das Hektor 445 erbricht, schemt keiner
zu sein, da er, der doch den fliehenden Achaiem auf den Fersen
folgt, am Graben stutzt Oder ist da eine Zugbrücke zwischen den
Zeilen zu lesen? Ich finde die Schildenmg des M durchaus nicht klar.
Vor allem aber ist die Asiosepisode deshalb ungehörig, weil sie
die Heldenantwort Hektors auf Polydamas' Wamimg (200 — 250) be-
einträchtigt. Diese herrliche Scene ist schön erfunden und schön aus-
geführt, Hektors imerschütterlichen Mut und Entschlossenheit dar-
zustellen: er tut seine Kriegerpflicht, ob rechts oder links die Vögel
fliegen. Dieser gewiß nicht verächtliche Dichter müßte ein wimder-
licher Künstler gewesen sein, hätte er neben Hektor auch andere
noch Mut behalten und gar wie den Asios vor Hektor ins Tor stür-
men lassen. Nein, so hat er sich das nicht gedacht Die Troer treten
zum Sturm an, da erscheint der Adler mit der Schlange in den Fän-
gen, die, scheinbar seine sichere Beute, ihm so zusetzt, daß er sie
fallen läßt. Auch der Tor kann das Zeichen deuten. So schaudern
die Troer (208). Da tritt Polydamas zu Hektor und gibt der allge-
meinen Stimmung durch sein warnendes Wort Ausdruck. Das fühlt
Hektor und drohend schließt er seine stolze Antwort, er werde ihn
niederstoßen, trete er nicht zum Sturm an oder mache er einen andern
fahnenflüchtig. Hektor reißt die Zagenden mit sich fort. Alle haben
gezagt, alle haben das Zeichen gesehen. Unmöglich konnte dieser
Dichter sich dies ganz auf Hektor angelegte Gedicht mutwillig ver-
derben, indem er kurz vorher Asios ohne Halt imd Zagen sogar
Hektor voran stürmen und fast ein Tor forciren läßt
Die Achaiermauer w M — 135
(124 — M 455). Am Ende des Buches wiederholt der Erzähler beides
679, 683 und 737. Auch Nestor sieht, als er auf das Getöse hin aus
seinem Zelt von der Unterhaltimg mit Machaon heraustritt E 1 5, daß
die Mauer ,geworfen* ist, und unterhält sich darüber mit Agamem-
non 65 und den andern verwimdeten Helden, die nun helfen, so g^t
sie noch können. Da lenkt Hera des Zeus Aufmerksamkeit von der
Schlacht ab, und nun fliehen i die Troer vor den Achaiem zurück
bid T€ CKÖXoirac xai idcppov. Umgekehrt geht jetzt ihr Weg, zuerst
durch den Graben, dann durch den Verhau; aber der Vers stanmit
wie 2 und 3 aus 9 343 ff, wo er für den Angriff richtig die Reihenfolge
der Hindemisse bezeichnet Der erwachte Zeus läßt Poseidon aus-
weisen und Apoll die Troer wieder zimi Siege fahren. Die Achaier
stürzen fliehend 344 {^^ M 72) in ihre Verschanzungen, Apoll tritt
356 die Ränder des Grabens ein, wie er 260 angekündigt, und stellt
so einen breiten Damm her. Dann tritt er auch, wie ein Knabe
Seesandhaufen, den Wall nieder {361). Natürlich steht der größte
Teil des Grrabens imd Walles immer noch — Troer übersteigen ihn
O 384 — , nur eine breite Bresche ist vom Gotte gebrochen, so daß mm
die Troer auf ihren Wagen ins Schiffslager fahren können (385, 447),
während sie von M 81 bis zu Fuß vor und in der Mauer gekämpft
hatten. Von jetzt ab sausen die Wagen der Troer imd nachher des
Patroklos her und hin, doch bleibt der Graben immer noch ein Hin-
dernis für die Massenflucht TT 370.
Die Erwähnungen der Festungswerke beschränken sich in N —
auf klar begrenzte Teile. Ich hoffe diese Bücher durch nachfolgende
Untersuchimgen, die hier den Zusammenhang zu sehr zerreißen wür-
den, als Arbeit des Verfassers unserer Dias zu erweisen. Hier möge
ihre Abgrenzung und der Hinweis genügen. Der Anfang des H ( i — 1 5 2)
knüpft an die Nestorepisode Ende A an, nimmt die Motive der Helden-
verwundungen des A und der Poseidonhilfe des N auf, ist also ein
für die Composition wichtiges, für den Gang der Handlimg bedeu-
tungsloses Übergangsstück. Im N wird die Mauer nur zu Anfang er-
wähnt, wo Poseidon die Hauptrolle spielt Er wird im auf Zeus'
Befehl entfernt, imd auch da wird der Mauer öfter gedacht. Der Zu-
sammenhang beider Partien ist einleuchtend. Sie sind von Atöc äirdrii
nicht zu trennen und sollen mit ihr im 17. Stück behandelt werden.
Bleiben N 679, 683, wo 677 auch wieder Poseidon genannt wird und
Die alte Patroklie kannte die Achaiermauer nicht 139
er weiß nichts von der Mauer. Und unmittelbar fahrt er TT 85 fort
und schärft dem Patroklos ein, nach Vertreibung der Feinde von
den Schiffen sogleich umzukehren, ^damit er ihm nicht Ruhm und
Sühne von allen Danaem nehme, sondern sie ihm das schöne Mäd-
chen zurückgeben und herrliche Geschenke darbietend Auch diese
Situation ist dieselbe wie A 609. Sowohl in Achills Hoffnung auf
baldige Sühne wie auch in der Vorstellung, daß das Schiffs-
lager unbefestigt ist, stimmen TT 80 und A 600 überein, und in
beiden Punkten stehen sie zugleich im schärfsten Wider-
spruch zu den AiTai I und der ganzen Entwickelung unserer
Ilias. Die Aixai hat nun, wie gezeigt, der Verfasser unserer Ilias ein-
gearbeitet imd ihnen gemäß den Mauerbau wälu-end Achills Groll
H 436 erzählt Unmöglich kann derselbe Mann A 600 — 610, immöglich
TT 80 — 90 imd 255, immöglich X 3 — 14 gedichtet haben. Diese vier
Stellen, die alle die Existenz der Mauer ausschließen und von denen
zwei auch die Bittgesandtschaft des I negiren, gehören zusammen und
stammen aus einem älteren Gedichte, der Patroklie. Auf diese
selbe Vorlage des Verfassers unserer Ilias sind wir bereits einmal
(s. St. 3 u. 4) gestoßen und haben gesehen, daß er sie durch die für
sein großes Werk notwendige Pause XT und den sie ermöglichen-
den Waffentausch umgearbeitet und erweitert hat. Konnte er die
Airai und die Dolonie durch Schaffung von Vorbereitungs- undVer-
bindung^tücken (Ende H, 6, Anfang I, Anfang K) seiner Ilias einver-
leiben, so mußte er in die Patroklie tiefer und häufiger eingreifen,
um sie unter die so sich ergebenden Voraussetzungen zu bringen.
So gut wie dort ist es ihm nicht gelungen; die Aufgabe war frei-
lich auch schwerer, wohl gar nicht lösbar.
Die ursprüngliche Patroklie hat also die Lagerbefestigung nicht
gekannt: folglich sind die Stellen des TT so gut wie die schon für ihn
erwiesenen des X und P 76of, die sie erwähnen, erst vom Verfasser
unserer Ilias eingelegt, wie er das tun mußte, um die einmal hinge-
stellte Vorstellung des befestigten Lagers durchzufuhren.
Z 315 fr beweisen, daß die Befestigung immer noch sowohl ein Hindernis für die
Flucht als ein Schutz für die Verteidiger war.
Die Achaiermauer inTTY — Ö 141
mit Hinweis auf die Mauer 512. Sie hebt den Widerspruch zwischen
Sarpedons Bitte an Glaukos, für seine Leiche zu kämpfen, mit der
Verwundimg desselben durch Teukros beim Mauersturm M 387,
durch eine plötzliche apollinische Heilimg auf. Die nun schon öfter
beobachtete Sorgfalt bei Abfassung des großen Epos ist hier deut-
lich wahrnehmbar. Zugleich ergibt sich wieder eine Bestätigung da-
für, daß ihr Verfasser eine ältere Patroklie schon vorfand, xmd zwar
mit dem Sarpedonkampf, dessen ursprüngliche Zugehörigkeit zu
derselben allerdings bedenklich erscheint (vgL St 3 u. 19, Anm. 9).
Dem Verfasser unserer Hias muß auch die, wie jene Verse schon von
Lachmann ausgesonderte Rede des Patroklos gehören, in der er
sich rühmt, in Sarpedon den erschlagen zu haben (558), der ,zuerst
in die Mauer der Achaier sprangt (— M 438).
Damit sind die Mauererwähnungen in der Patroklie als Zusätze
des Verfassers unserer Hias zum Zwecke der Verklammerung seines
Epos erwiesen. Die ursprüngliche Patroklie kannte nicht
die Befestigung des Schiffslagers. Auch die Äußerung Sar-
pedons n 500, er sei veujv dv dtiövi gefallen, ist nur dann wirklich wahr.
Am Ende der Hias kommt die Mauer noch zweimal vor: Y 49
und Q 443. Jener Vers steht in einer fast ganz aus entlehntem Ma-
terial bestehenden Stelle Y 41 — 53, die den Götterkampf mit der
Menschenschlacht verbindet, ein Werk des Verfassers xmserer Hias.
Q 443—447 lösen sich leicht aus. Sie erzählen, als Priamos unter
Hermes' Leitung an die Befestigxmg des Schiffslagers kam, schläferte
Hermes die Wachen ein und öffnete das Tor. Weder Götter noch
Menschen haben von der Schwierigkeit gesprochen, wie Priamos
durchs Lagertor kommen könne. Auch Zeus beauftragt den Hermes
338 nur, den König zu geleiten, damit kein anderer Danaer ihn
sähe, bevor er zu Achill komme; und Achill 519 ist nur erstaunt
tvS}^ likt\c iv\ vf^a^ 'Axaiujv iXG^juev oloc. Zurück fuhrt ihn Hermes 68 1
fi€Ta CTparöv, oub^ Tic ^tvu). Eben darauf kam es an beim Kommen
und Gehen. Mauer und Wachen sind Überfluß. So glaube ich, dafi
auch diese Verse erst für unsere Hias von ihrem Verfasser einge-
setzt sind.
Wt'e der Verfasser unserer Utas die Achaiermauer benutzte 143
war kein Kleber und Flickeri mit klugem Bedacht hat er dies Mit^
tel gewählt und mit Sorgfalt und Consequenz es durchgeführt
Noch einmal im Q 443 wendet er es an und erreicht damit zugleich
eine Steigerung des Wunders, das die nächtliche Fahrt des Priamos
zu Achill umgibt: selbst durch das Walltor des Lagers und durch
seine Wachen fuhrt Hermes unbemerkt den frommen Greis.
ACHTES STÜCK
DER BOTENGANG DES PATROKLOS^
Im A hat sich die Niederlage der Achaier vollendet Agamem-
non, Diomedes, Odysseus, auch Machaon und Eurypylos sind ver-
wundet, nur der Telamonier Aias schützt noch die Schiffe A 569,
aber auch er ist schwer bedrängt Da sieht Achill den Nestor mit
Machaon vorbeifahren 599 und sendet den Patroklos, um ihn zu
fragen, ob der Verwimdete wirklich Machaon sei. Patroklos eilt zu
Nestors Zelt, findet beide schon behaglich beim Labetnmk, will
gleich wieder fort, aber Nestor hat ihm viel zu sagen. Als er end-
lich A 805 zurückeilt, trifft er auf den verwundeten Eurjrpylos, der ihn
um ärztliche Hilfe (830) bittet, die er ja von Chiron gelernt habe.
Patroklos hat zwar Eile, Achill die Rede zu halten, die Nestor ihm
aufgetragen 840, aber er verbindet ihn doch« Es folgt der Mauer-
sturm M, die Schlacht an den Schiffen NEO. Da endlich 390 — 404
fuhrt uns das Epos wieder zu dem Paar zurück. Patroklos verläßt
jetzt den Verbundenen, um zu Achill zu eilen, daß er ihn antreibe
zu kämpfen: ,wer weiß, ob ich nicht mit Gottes Hilfe sein Herz durch
gutes Zureden wende.' TT 2 tritt dann Patroklos weinend zu Achill,
schildert ihm 21 die schlimme Lage, schilt seine Unerbittlichkeit
tmd schlägt schließlich vor, wenigstens ihn mit den Myrmidonen
in den Kampf zu lassen und, damit die Troer getäuscht würden, ihm
seine Waffen zu geben.
* Zum Botengang des Patroklos vgl. besonders Kayser« Homer. Abhdlg. 54;
Niese, E.H.P. 85.
Der Verfasser unserer lUas hat Pairoklos Botengang erfunden 145
unserer Ilias hat es zweifellos so gewollt Der Anfang der Patroklie
hängt mit dem Botengang fest zusammen. Kein Leser wird sich
noch jemals erinnert haben, als er an die Anfangsscene des TT kam,
daß Patroklos eigentlich des Machaon wegen ausgeschickt worden,
sondern es spannt ihn die Erwartung, ob Patroklos nun Nestors Rat
gemäß handeln und von Achill etwas erreichen werde, xmd das um
so mehr, als inzwischen die Not aufs höchste gestiegen ist Was soll
da noch die Meldung ,du hast richtig gesehen, Machaon war der
Verwundete auf Nestors Wagen*? Wer das einsetzt, wird es doch
selbst wieder streichen. Ist es doch eitel Pedanterie! Der Leser
würde durch solche Bemerkxmg nur aufgeschreckt werden, müßte
sich besinnen, den längst verlorenen Faden wieder zu haschen
suchen — seine Spannung wäre dahin. Und um die war's dem
Dichter gerade zu tun. Sie zu erhalten hat er richtig gehandelt, in-
dem er den Patroklos nur sagen läßt TT 22: ,eine furchtbare Not be-
zwingt die Achaier, alle besten Helden sind verwundet, Diomedes,
Odysseus, Agamemnon, jetzt oder nie ist Hilfe notig.^ Unrichtig und
unzulässig ist also die oft wiederholte Behauptung, im Anfange des
TT reiße die Ilias auseinander. Ob ihr Verfasser seine Sache gut
oder schlecht gemacht, ist eine andere Frage. Daß er durch den
Botengang des Patroklos seine Bitte, den Achaiem zu helfen, vor-
bereiten und so die Patroklie mit den mittleren Büchern A — ver-
knüpfen wollte, hat er durch seine Behandlung außer Zweifel gestellt
Dieser Mann ist niemand anders als der Verfasser imserer Ilias.
Schon der lang gesponnene Faden beweist das. Wer an drei weis-
lich verteilten Stellen (A 597 — 848, 390 — 404, TT 23 ff) nach dem-
selben Plane gearbeitet hat, der hat eben der Ilias die Gestalt ge-
geben, in der wir sie lesen. Nicht weniger entscheidend ist dies.
Daß, wenn nicht Achill, so Patroklos helfe, xmd zwar in Achills Waf-
fen, wird von Nestor geraten A 796ff, von Patroklos leidenschaftlich
erfaßt A 804, 839f, TT 38ff, von Achill bewilliget Es ist dies das ent-
scheidende, die Katastrophe herbeiführende Motiv, deshalb wird es
weit vorher angesponnen. Und von Anfang an ist Waffentausch
mit ihm verbunden A 798 ff — TT 4off. Der aber ist, wie bewiesen,
eine Zutat des Verfassers unserer Ilias, die for ihre Composition
von größter Bedeutimg ist
Fragen wir nun, welchen Zweck der Verfasser unserer Ilias mit
Uethe, Homer lO
D<is Nestoridyll im A 14g
ab. Sie dürfte zu dem Nestoridyll gehören.^ Seinen Zwecken hat
der Verfasser unserer Uias es dienstbar gemacht, indem er 644 Pa-
troklos in die Unterhaltung eintreten, seinen Auftrag ausrichten und
dann Nestor die Gelegenheit benutzen läßt, ihm seinen Rat zu geben.
Das geschieht in langer Rede A 656 — 803. Sie hebt mit der Schil-
derung der üblen Lage der Achaier an, kritisirt dann Achills Ver-
halten. iWenn ich noch die Kräfte meiner Jugend hätte' (668) bahnt
den Übergang zur Erzählung seiner eigenen Heldentat bis 761, die
übernommen ist. Dann kommt Nestor auf Achill zurück und bittet
den Patroklos, eingedenk des Auftrages seines Vaters dem Achill
g^t zuzureden, als der Verständigere. Eingeschoben ist von 767 an
eine Schilderung vom Besuche Nestors imd Odysseus' im Hause des
PeleuSy um Achill und Patroklos für den Krieg zu werben, imd der
guten Lehren, die beiden ihre Väter gaben. Die Verse A 765 f und
790, die diese Erzählung einrahmen, stammen aus I 252 f und 259,
aber diese selbst hebt sich durch ihre Anschaulichkeit, Feinheit und
Luierlichkeit so hoch über ihre Umgebung hinaus, daß sie unmög-
lich für sie und von demselben Dichter gescha£Een sein kann. Aristo-
phanes und Aristarch haben 767 — 785 athetirt, und Lachmann 64 hat
mit einem bösen Worte beigestimmt Aber 786 — 789 gehören nach
Inhalt und Stil doch imtrennbar zu jenen: ,du Patroklos bist der
Altere, so lenke Achill und rate ihm zum Guten.' Diese Verse aber
sind in Nestors Rede unentbehrlich, da 765 f auf sie zielen und 79of
an sie anknüpfen, ja sie eigentlich ganz imd gar auf sie zugeschnit-
ten ist* Die Rede muß also trotz ihrer Längen xmd Abweichungen so,
wie sie überliefert ist, als beabsichtigt anerkannt werden. Der Ver-
fasser unserer Uias hat wie im 6 und X benutzt, was sich ihm bot,
aber auch hier, wie dort, es eingearbeitet und seinen Zwecken unter-
geordnet Er wollte die Pause zwischen den Kämpfen KA und MN
zu einer Erholungspause gestalten — imd er hat wohl daran getan — ,
da konnte er den Botengang des Patroklos und Nestors Rat nicht
* Die einzige Erwähnung eines Viergespannes A 699 in der Uias, die sonst nur
Zweigespanne kennt, zeigt die singulare Stellung des Gedichts am klarsten.
• Woher dies schöne Stück A 767—790 stammt, ist nicht zu sagen. Vom Ju-
gendabenteuer Nestors unterscheidet es sich stark. — Übrigens hat der Verfasser
unserer Uias 778 für sein Zwischenstück 646 benuUt. Den Spruch 784 braucht
der Dichter der Glaukosepisode Z 208 nicht gerade von hier entlehnt zu haben.
h 600 — 6 10 153
Stilistisch macht sich zwischen der herben Knappheit von 600
bis 604 und 608 — 610 die unnötige Breite von 605 — 607 störend
fühlbar. Auch inhaltlich sind 605 — 607 selbst im jetzigen Zusammen-
hange schon auffällig. Denn auf alipa V ^xaTpov Trpoc^emev 602 folgt
nicht, wie zu erwarten ist, eine hastige Ansprache Achills, sondern
zuerst ist es Patroklos, der aus dem Zelt heraustretend den Gebieter
fragt 606: ,was rufst du mich? was bedarfst du mein?* Und noch
obendrein wird diese überflüssige Frage eingeleitet durch den
schwerfalligen Vers 605 töv 7TpÖT€poc(!) irpoc^eiTre MevoiTiou äXKifiioc
u\öc. Nun muß dieser beiden lästigen Verse wegen das leidenschafU
liehe alMia b' ^raipov irpoc^eiTrev in 602 wieder aufgenommen werden
in 606: TÖV V d7ra|Li€ißö|Lievoc Trpoc^cpTi iröbac ujkuc 'AxiXXeuc. Wie lahm
und schleppend! Vorbei ist's mit der durch aI^ia angedeuteten Hast
Dies Wort wird durch 605 — 607 Lügen gestraft. Achill redet den
Freund nicht ,sogleich' an, sondern wartet erst seine Meldimg ab.
Und was für Verse sind das! 605 und 607 sind üblichste Formel-
verse, 606 ist ärgerlich trivial. Sie stören empfindlich die stolze
Schönheit und imterbrechen träge die leidenschaftliche Kraft der
vier vorhergehenden und drei folgenden Verse. ,Auf dem Hinter-
,deck seines Schiffes stand Achill imd sah den schweren Kampf und
,die tränenreiche Not Gar rasch sprach er an seinen lieben Ge-
,fahrten Patroklos, er rief ihn vom Schiff, imd der hörte ihn vom
,Zelt her und trat heraus dem Ares gleich — das war der Anfang
iSeines Unglücks (604) — (608) ,edler Menoitiade, herzlieber Freund,
,jetzt, mein' ich, werden die Achaier flehend zu meinen Knien kom-
,men, denn nicht mehr erträgliche Not ist da.' 608 schließt nicht nur
lückenlos an 604 an, es steht jetzt erst die ganze Stelle in ihrer Hoheit
da, jetzt erst ist sie im Sinne ihres Dichters hergestellt, der sich in
alMia 602 deutlich kund gibt Achill kann seine ausbrechende Freude
nicht mehr halten. Kaum hat er den Freund gerufen, so jubelt er
ihm schon die frohe Botschaft entgegen: Jetzt ist meine Sehnsucht
erfüllt* Wer diese Verse dichtete, der ließ weder folgen, was A 6 1 1
folgt, »frage doch, ob der Verwundete da Machaon isf, noch hat er
sie imterbrochen imd verdorben durch die überflüssige Bedienten^
frage 606 ,was steht zu Befehl?' Gut aber paßt diese für den, der
den Patroklos zu einem Botengang benutzen wollte. 605 —607 sind
von demselben eingesetzt, der 611 ff und 597 — 599 geschrieben hat,
Der Anfang des J\ . 157
nügend erklärt: die Tränen des Patroklos TT 2 und seine Behaup-
tung, Achill sei unerbittlich TT 29. Sie fordern also, daß etwas an-
deres voraufging, was wir hier nicht lesen. Andererseits fordern
A 600 — 604 + 608 — 610 eine andere Fortsetzung, als sie dort finden.
Wenn hier Patroklos auf Achills Befehl dem Ares gleich aus dem
Zelte tritt imd dies als der Anfang seines Unglücks bezeichnet wird,
so leitet das — jeder Unbefangene fühlt es — die Scene ein, die
ihn in den Kampf fuhrt, aus dem er nicht mehr zurückkehren wird.
Das ist der Anfang der alten Patroklie. Versuchen wir, die
Stücke, die aus innerer Verwandtschaft zueinander streben, zusam-
menzusetzen. A 600 — 604 + 608 — 610 + TT 2 — 22 . . 29^ — 39 + 46 — 54
passen ohne Fuge. Scenerie und Situation sind dort wie hier die
gleichen. A 600 zeichnet sie so: Achill steht auf dem Achterdeck
und sieht die Not der Achaier. Aufweitschauendem Punkt muß er auch
n 1 2 5 stehen: da sieht er die Flanmie aus dem imikämpften Schiffe auf-
schlagen.^ Er ruft nach Patroklos, der aus dem Zelte tritt, und so-
gleich, ohne ihn zu erwarten, ruft er ihm, in das Gewühl starrend,
zu Jetzt müssen die Achaier mich anflehen, nicht mehr erträglich
ist ihre NoU Da (TT 2) tritt Patroklos an ihn heran. Der Anblick
der schon an den Schiffen kämpfenden Troer überwältigt ihn,
Achills Jubel nimmt ihm jede Hoffnung, er werde sich erweichen
und helfen — seine Tränen rinnen, wie der dunkle Quell an der
Felswand niedertropft Jetzt, da er neben ihm schluchzt, sieht ihn
Achill erst an, imd den Mitleidlosen faßt jetzt Mitleid. Aber seine
dritte Frage: ,jammerst du etwa über die Argeier, daß sie an ihren
Schiffen verderben ob ihres Übermutes?' bestätigt dem Patroklos
nur, was Achills Jubelruf ihm gesagt. Da hilft kein Bitten: Achills
Herz ist durch seinen Groll verhärtet wie der Stein und mitleidlos
wie das graue Meer. So sagt er ihm: ,verarg mir nicht meine Trä^
nen, so grofi ist die Not [Jetzt muß geholfen werden oder es ist zu
spät]; du aber bist unerbittlich, so laß mich in den Kampf.'
Die einfache Zusammenstellung überzeugt Wirklich gibt die aus
dem Botengang des A ausgelöste, imd als eine der Patroklie nach Stil
und Voraussetzimgen angehorige Stelle die Begründung für die
' Das Schenkelschlagen TT 125 fordert nicht Sitzen. Auch Asios M 162 schlagt
sich, auf seinem Wagen stehend, die Schenkel.
Tl ^6—100 159
Sicher sind ein Zusatz des Verfassers unserer Ilias 60 — 63, weil sie
auf I 650 — 655 zurückweisen, also vermitteln sollen. Ebenso 64f:
ynimm meine Waffen imd commandire die Myrmidonen.' Daran
aber werden mit auffallendem Übergange d bf| drei herrliche Verse
geschlossen 66 — 68: ,die dunkle Wolke der Troer umwandelt über-
mächtig die Schiffe y die aber sind an die Brandung des Meeres
gedrängt und haben nur wenig Land noch.^ Das schildert die ^cht
mehr erträgliche Not', die Achill A 610 gesehen hatte. 69 trägt das
Subjekt 'ApT^ioi nach und wiederholt, um den Vers zu füllen, trivial
das grandiose Kudvcov Tpuiujv v^qpoc. 70 — 73 begründet aber gut die
Erfolge der Troer: ,sie sehen ja meinen Helm nicht, schnell würden
sie fliehen, wenn Agamemnon mir freundlich gesinnt wäre.' Diese
Bemerkimg verrät die alte Patroklie, wie 66—68 ihrem Stil ent-
sprechen; nur sprengt leider 69 ihren Anschluß ganz aus dem Zu-
sammenhang, nach oben und unten fallen 74 — 79 heraus, wie längst
bemerkt ist Sie begründen (yäp) den Sieg der Troer mit dem
Fehlen Diomeds und Agamemnons, der eben durch Achills Kampf-
enthaltimg motivirt war, also eine Dublette. Andererseits hat 80
,aber auch so, Patroklos, wehre das Feuer von den Schiffen' keine
Verbindimg. Statt dXXa Kai &c 80 müßte man gerade das Gegenteil
verlangen: ^deshalb, weil die Troer siegen, wehre du ihnen jetzt*
Ein Zweck der Verse 74 — 79 ist nicht erkennbar, ist doch dasselbe
und mehr schon 25 — 29 von Patroklos berichtet Freilich ist es hier
besser gesagt und der Situation der alten Patroklie gemäß: ,ich
(Achill) hörte nicht mehr die Stimme aus des Atriden verhaßtem
Haupte tönen', im Stile ihrer wohl würdig. Jedenfalls sind diese
sechs Verse ein vereinzeltes Bruchstück, wie auch 66 — 68 und
70 — 73. Denn dXXd Kai S)c 80 ist an 73 anzuschließen ebenso unmög-
lich wie an 79. Auch sonst findet sich für 80 ff kein direkter An-
schluß in Achills Rede. Sie selbst freilich stellen sich als echteste
Patroklie dar, wie ich schon oft gesagt habe: ,wehre das Feuer von
den Schiffen, dann aber kehre zurück, daß du mir nicht Sühne und
großen Ruhm von den Danaem nehmest, sondern sie mir das Mäd-
chen zurückgeben und herrliche Geschenke/^ Sie setzen als not-
* TT 91— 94, die Patroklos' Tod durch Apoll vor Uios vorbereiten, sind wohl
Zusatz des Verfassers, 97 — 100 Interpolation. 95 f könnten mit ihrer nochmaligen
Mahnung, sogleich umzukehren, zur alten Patroklie gehören.
Agamemnans Aristie i6i
Es ist zu untersuchen y ob und inwieweit etwa im A anschließende
Stücke dieses älteren Gedichtes erhalten sind. Es war also nicht
auf Patroklos' Sendung und Tod beschränkt, sondern umfaßte wenig-
stens noch die Niederlage der Achaier vorweg, wie es Achills
Rache an Hektor am Ende fordert
A besteht aus drei sich deutlich abhebenden Teilen, i. Agamem-
nons Aristie, 2. einem Rückzug der Achaier, bei dem Diomedes,
Odysseus, Aias tapfer kämpfen, 3. dem Botengang des Patroklos zu
Nestor. Der letzte ist bereits nebst seinen Vorbereitimgen, den Ver-
wundungen des Machaon A 501 — 520 und Eurypylos 575 — 596, als
Werk des Verfassers imserer Ilias abgesondert Jetzt habe ich noch
die beiden ersten zu behandeln.
Agamemnons Aristie stellt sich wie wenige deutlich als ein ur-
sprünglich selbständiges Gredicht dar. Es kümmert sich nicht um
die Not der Achaier, nicht um Achills Zorn und Zeus' Ratschluß, es
macht überhaupt keine andere Voraussetzung als die ganz allge-
meine des troischen Krieges, und sein einziger Zweck ist der Ruhm
Agamemnons.
Ihm ausschließlich gilt das Gedicht bis 280. Vorzüglich paßt
dazu als Einleitung die Rüstung Agamemnons mit Wa£fen, deren
Pracht eingehend beschrieben wird 15 — 44*, vorzüglich die Freude
seiner gottlichen Schützerinnen Hera imd Athena, die donnern, den
Herrn von Mykene zu ehren 45 f. Ob auch der pompöse Anhub des
Buches (i— 1 2) mit der Schilderung der mitten in den Achaierschiffen
brüllenden Eris dazu gehöre oder nicht, ist schwer zu sagen. 73
nennt wieder die Eris, doch ist es nicht notwendig, hierin eine Be-
ziehung auf den Anfang zu finden. i3f, von den Alten athetirt, ge-
' Furtwängler, Bronzefunde von Olymp. 59, 2 und in Roschers Myth. Lex. I
1703 erklärt in der Schildbeschreibung 36 f für jüngeren Einschub. Dagegen
W. Heibig, Hom. Epos aus d. Denkm. erläutert* 1887, S. 388. Die drei (I) Figuren
um den Kyanosbuckel in der Mitte erscheinen in der Tat stillos. Die kretischen
Schilde, die solche Figuren zeigen, haben in der Mitte stets den Kopf eines Löwen»
Vogels, dgl. Vgl. H. Brunn, Griech. Kunstgesch. I 92 f; F. Paulsen, Der Orient
u. d. frühgriech. Kunst (1912) 78. Der Künstler der Kypseloslade hatte sie jeden-
falls schon gelesen, der die Scene A 22 if, 248 ff illustrirte: Pausanias V 19, 4.
I^etiie, Homer II
A* und die ältere Patroklie 171
Die aus dem Mörtel gelosten alten Bausteine passen aneinander.
Ein älteres Gredicht stellt sich uns in weitem Zusammenhange dar.
Ich weiß mich dieser Folgerung nicht zu entziehen. Keine zer-
reißende Lücke und keinen Widerspruch sehe ich.
Auffallend freilich war mir das starke Hervortreten des Odys-
seus, der 430 »unersättlich in Listen und Mühen^ genannt wird und
438 von Athene beschützt wird. Aber es ist nur eine Hypothese,
daß Odysseus in älterer troischer Dichtimg keine Rolle gespielt
habe. Zudem wissen wir nicht, wie alt oder jung denn dies vom
Verfasser unserer Hias zugrunde gelegte Gedicht gewesen ist Die
Analyse der Ilias ist schließlich eben doch der einzige Weg, der
zur Beantwortung all dieser Fragen fuhren kann. Sie ergibt nur
dies Resultat: ein knapp gehaltenes, kraftvoll gezeichnetes Gedicht
hat die von Zeus verhängte Flucht der Achaier in ihr mauerloses
Schi£fslager, Achills Freude darüber und Patroklos' Auszug in eige-
ner Rüstung, seinen Tod imd Achills Rache an Hektor geschildert
Achills Zorn imd seine Kampfenthaltung sind seine Grundlage.
Zeus selbst drängt die Achaier zurück. So muß dies Gedicht auch
erzählt haben, wie Achills Zorn entstand und wie Zeus sein Ver-
sprechen gab, den Troern Sieg zu verleihen.
Mit andern Worten, jenes ältere Epos, das wir in TTZ und A ge-
faßt haben, scheint die Grundlage unserer Ilias zu sein, scheint ihr
die großen Hauptlinien der Handlimg gegeben zu haben. Die viel
gesuchte ,Urilias' wäre ungesucht gefunden. Aber zunächst gilt
es, diese Vermutimg zu prüfen, ihr den Eckstein erst zu schaffen.
Ist sie richtig, so müßte der Anfang jenes älteren Gedichts in unse-
rem A nachzuweisen sein.
ELFTES STÜCK
ANALYSE DES A
In klaren Linien gedrungener Kraft steigt der Anfang der Ilias
empor. Wenige, knappe Sätze, jeder ein Bild, schichten den Boden, aus
dem der Streit Achills und Agamemnons in kühnem Schwimge jäh zu
steilem Gipfel aufschießt Ihm gönnt der Dichter die Fülle seiner
Die AUhiopenreise der Götter 173
Lachmann hat an zwei Stellen des A Anstoß genommen, i. an
der zwölftagigen Aithiopenreise der Grotter 424 imd 493 , die der
Anwesenheit von Apoll, Hera, Athene während des Fürstenstreites
widersprechen, und 2. an der Chrysefahrt des Odysseos 430 — 487 4-
488 — 492, durch die die Beziehung des ka toTo in 493 dXX* 8t€ bf| ^' hi
TOio buuibCKdTii t^vct' i^dic auf das Gespräch zwischen Achill und
Thetis 350 — 430 unmöglich gemacht werde. Seine Begründung, fast
noch knapper als ihre Wiedergabe, frappirt Aber darf man Logik
ohne weiteres auf Poesie anwenden? Die grammatische Bemerkimg
freilich, so selbstverständlich hingestellt, scheint jeden Widerspruch
auszuschließen. Und doch — hat nicht jeder trotz Lachmann darüber
hinweggelesen imd sich immer wieder darüber ertappt? Woran
lieg^ das? Der Leser spannt darauf, ob Thetis Achills Wunsch bei
Zeus werde durchsetzen können. Auf zwölf Tage sind die Grötter ver-
reist: er muß also mit Thetis warten. Währenddem wird die Erzäh-
lung von Odysseus' Fahrt nach Chryse erzählt Freilich wird nur
ein Tag für sie verbraucht, am zweiten kommt die Sühnegesandt-
schaft zum Heerlager zurück. Aber wir sind beschäftigt worden,
wir bekommen durch dies Intermezzo viel stärker den Eindruck der
Unterbrechung, als wenn ims der Dichter nur, wie Lachmann wollte,
gesagt hätte: ,so sprach Thetis und verließ den grollenden Achill;
als aber seitdem die zwölfte Morgenröte kam.. ^ Durch die Ablenkung
V nserer Phantasie von Achill imd Thetis fort auf eine andere Hand-
luig, auf andere Schauplätze, auf eine ganze Reise mit Abfahrt und
Aikunft und Feierlichkeiten und Abend und Schlaf und Rückkehr,
erle len wir sozusagen etwas und haben dadurch nun das Bewußtsein
selbs' gewonnen, daß wirklich zwischen Achills Bitte und Thetis'
Gang x\x Zeus volle Tage liegen. Dies wird noch gesteigert durch
die 484 —492 angefügte kurze Schildenmg des tatenlos grollenden
Achill^, der nicht mehr zur Versammlung ging — eine fand doch
sicher s\ tt, in der Odysseus Bericht erstattete — und nicht mehr
in den K mpf zog — der braucht nicht gegen die Stadt Ilion ge-
richtet zu »ein, denn ringsum werden die Landschaften bekriegt
A 366. Ni^ t ein Tag ist es, sondern eine Reihe langer Tage. Ist
das nun eim törichte Anordnung? Kann sie durch Aneinanderflicken
' Vgl. Hinri. \ Herrn. XVII (i88a) 98 f.
Lachmanm Anstoß an A ^pj 175
und doch versteht's jeder ohne Nachdenken hier so gut wie da.
Patroklos ist bestattet, Achill schleift die Leiche Hektors auch am
folgenden Tage. Da bemitleiden ihn die Götter und fordern Hermes
auf, den Leichnam zu entwenden. Doch Hera, Poseidon, Athene
widerstreben, ^s aber seitdem die zwölfte Morgenröte kam, da
sprach ApolL'' Seit wann? Natürlich seit Hektors Tod, wie auch das
Scholion bemerkt, nicht etwa seit der Q 14 — 18 erzählten Schleifung.
Nur ein Grammatiker, der ängstlich nach einer Beziehimg des Ik toTo
sucht, kann darauf verfallen. Diese Schleifung am Tage nach Pa-
troklos' Bestattung ist doch kein Ereignis, das sich einprägt und
Epoche macht Sie ist nur erzählt, um zu zeigen, daß Achills Haß
und Rache auch jetzt noch kein Ende finden. Wie er's an diesem
Tage treibt, so treibt er's weiter (Q 51). Die Götter geraten darüber
in Streit Schließlich am zwölften Tage kommt die Entscheidimg.
So würden wir erzählen. Schwerlich würde jemand an dieser An-
gabe hängen bleiben, wenn aber doch, so würde er erklären: zwölf
Tage mißhandelte Achill den Leichnam, als Zeus einschritt, also seit
Hektors Tod war es der zwölfte Ta^.
Lachmanns Anstoß an A 493 ist nicht berechtigt Damit fallt die
Nötigung, die Chrysefahrt 430 — 492 auszusondern. Diese Verse
sperren sich auch gegen solche Zumutung. Denn nur bis 487 geht
die Erzählung der Reise, 488 — 492 schildern Achills Grollen und
Harren entsprechend den Weisungen seiner Mutter 421:
dXXa cu fi^v vGv vriucl Traprjfievoc ibKUTiöpoiciv
jiTivi' 'Axaioiciv, TToX^fiou b* äTTOTraueo TidjiTrav,
und sie nehmen 429 wieder auf:
TÖV bfc XlTT* aÜTOÖ
Xuiöfievov Kord Gujiöv duJiivoio t^vaiKÖc,
mit den Versen:
488 aurdp 6 jii'ivie vriucl Tiapriiievoc übKUTiöpoiciv
bioT€vf|c TTriXfloc ulöc, nöbac diKÜc *AxiXX€Üc'
oÖT€ TTOT* elc dTopf|v 7tujX^ck€to Kubidvcipov
ojrre ttot* ic nöXeiiov, dXXd q)9ivu9€CK€ q)iXov Kf)p
au6i fi^vuüv, 7To9^€CK€ b* duT/jv T6 7rrÖX€|lÖV T€.
' Vgl. Rothe, Ilias 328, Anro. Anders Hinrichs, Herrn. XVII 122.
Chrysefahrt und TheHsrede A ^23 177
423*''^ Y 484*; 424* r^T 141, 195, t 170; 424*» Q 327^; 425»— 46^
425** —612* (Verfasser wiederholt sich); 426» = i 438*, A 478», \|i 195*;
426^—0 438^ usw.; 427* r^ X 342*, 365*; 427^— A 289^ 296^ Ebenso
der Anfang von Thetis* Bittgang A 493 — Q 31 ; 494 «0518; 495* ~
H Ven. 73*; 495^=:Y 725^ M 393 b 353; 496^ — A 422USW. Doch ich
lege nicht viel Wert auf solche Gleichungen einzelner Verse und
Versteile, da der Nachweis kaum oder selten möglich ist, welche
Stelle das Original, welche die Nachahmung sei, und ob überhaupt
gerade diese beiden zueinander in Beziehung stehen und nicht etwa
beide zu einer verlorenen dritten.* Aber man betrachte den Inhalt
Thetis antwortet der Klage und Bitte ihres Sohnes, bei Zeus Für-
sprache einzulegen: ,du sollst doch ohne Leid bei den Schiffen sitzen,
da dein Leben so kurz ist; nun trifft dich beides, Leid und früher
Tod; dein Wort will ich dem Zeus sagen und selbst zum Olymp
gehen.' Bis hierher 420 ist alles treffend und knapp, wie in der
bisherigen Erzählung. Die Göttin hat genug gesagt, und völlig be-
firiedigend wäre ihre Rede mit diesem Schlüsse:
TOUTO hi TOI ip^ouca ^Tioc All TepTiiKepauvui
420 elji* aörfi Tipdc "OXujiTrov dTdvviq)ov, aT k€ 711811x01.
Aber sie redet weiter. ,Bleib bei den Schiffen und zürne den
Achaiem, enthalte dich ganz des Kampfes.' Wahrlich eine unnötige
Ermahnung an einen Achill. Völlig überraschend aber wirkt die
folgende Mitteilung 423, Zeus sei gar nicht da, erst nach zwölf
Tagen werde er von seiner Aithiopenreise zurückkehren. Und nun
wiederholt Thetis noch einmal, was sie 420 schon gesagt, nur mit
der Verbesserung, daß sie's erst dann, nach zwölf Tagen, tim werde:
Kttl TOT* ?TT€lTd TOI eljll AlÖC TTOTl XOXKOßaTtc boi,
Kai fiiv Touvdcofiai, Ka( fiiv TieicecGai öiu).
Das Angemessene wäre gewesen, wenn sie nach der Klage um das
Unglückslos ihres Sohnes fortgefahren hätte 418: ,nun kann ich dir
nicht einmal gleich helfen, da Zeus verreist ist, zwölf Tage müssen
wir warten, dann aber werde ich zu ihm gehen.^ Es ist klar: mit 421
beginnt der Einschub. Kayser, Haesecke, Kanmier haben das schon
ausgesprochen. Ursprünglich könnte auf 420 der übliche Abschluß
« S. C. Rothe, Ilias 22 fr.
B«tb«, Homer 12
Relatives Alter der Chrysefahrt l8l
mit allgemeinem Subjekt jene ersetzen. Freilich sind im -f eben
neben dem alten Nestor seine Söhne erwähnt ^ aber daß der alte
Chryses ganz allein sei, ist ein unberechtigter Schluß ex silentio:
ein Priester hat seine KoOpoi, A 470 treten sie wieder an. Dieser
Vers ist mit 469 nicht sonderlich geschickt verbunden, aber beide
rind Formelverse. Und Formelverse sind die meisten dieser Schilde-
rung von Fahrt und Opfer. Sie entziehen sich noch mehr als andere
der Untersuchimg, an welcher Stelle sie ursprünglich sind.* Es sind
doch mehr Epen geschrieben worden, als wir haben, imd noch
viel mehr Gedichte sind von Rhapsoden mehr oder weniger frei
reproducirt, mn- und ausgestaltet. Hinrichs' Meinung, die Chryse-
episode sei jünger als unsere Odyssee oder gar von ihrem Ver-
fasser eingeschoben, beruht schließlich allein auf A 430 '^ b 646,
welcher in der Tat erst vom Verfasser unserer Odyssee stammt
Aber Hinrichs selbst hatte früher umgekehrt b 646 für abhängig
von A 430 gehalten, und seine Gründe dafür sind gut Also auch
hier keine Entscheidung. Die singulare und falschgebildete Plural-
form dTTiiupuüV A 430 verrät nicht gerade einen Spätling. Wie mich
Wackems^el belehrt, mußte ein ionischer Dichter, wollte er zu
diroupa mit seinem aiolischen a eine 3. pluralis bilden, fast mit Not-
wendigkeit auf ÄTTTiüpujv geraten. Ein Dichter, der fertige Verse
und Versreihen benutzt, ist darum noch nicht ein Dunmikopf. Dieser
war's sicher nicht Das meine ich durch die Analyse der künst-
lerischen Absichten seiner Erzählung von der Aithiopenreise und
Qirysefahrt gezeigt zu haben. Und daß er mehr konnte, als bloß
^abschreiben' und ,zusammenflicken*, zeigen die Verse 488 — 492,
die auch nach Hinrichs immer wieder Bewunderung erregt haben.
Die formale Unselbständigkeit der Chryseepisode gibt ihr keine
Sonderstellimg andern Teilen der Ilias gegenüber. Denn oft finden
' Die Schilderung der Landung A 432 — 438 kann nur Voreingenommenheit
als Conglomerat aus ir 324, 497 f, Hym. Hom. 325 — 328 betrachten. Sie ist an
sich vortrefTlichf nichts in ihr, was nicht den Verhältnissen entspräche. Mit gutem
Scheine dürfte man behaupten, diese vollständigste Stelle sei für jene anderen
die Fimdstätte einzelner Verse gewesen. Aber das wäre ebenso unberechtigt. Ein
Widerspruch zwischen A 430 und 330 ff (Hinrichs 63) ist nicht vorhanden. Dem
AchiU ist doch wirklich die Briseis mit Gewalt gegen seinen Willen genommen,
obgleich er sie schließlich den Herolden gutwillig gegeben hat.
Athene und Achill 183
Und Achill: yinan muß auch in schwerem Zorn Euer Wort wahren,
denn so isfs besser (217); wer den Gröttem gehorcht, den erhören
sie inmien*
Man tut dem Dichter unrecht, wenn man 217 &c Totp fifieivov
als sittliche Reflexion faßt Es ist ganz real gemeint ,So ist es vor-
teilhafter*, heißt es, ganz wie a 376. Den Vorteil hatte ihm Athene
ja deutlich genug vorgestellt und feierlich versprochen: ,gib nur
dein Geschenk, die Briseis hin, dreimal so viele Geschenke wirst du
dafür erhalten* (212 — 214). Achills Antwort verliert ihre Beziehung,
wollte man 212 — 214 streichen. Dieser Hinweis auf einstigen reich-
lichen Ersatz ist ja auch das einzige, womit Athene ihre Mahnung
begründet Zudem ist der Parallelismus ihres feierlichen Verspre-
chens 212 zu. Achills Versicherung 204 doch offenbar beabsichtigt
Formal und inhaltlich ist die Athenescene fest geschlossen, kein
Vers ist entbehrlich.
Also das ganze Gespräch Athenes mit Achill stammt von einem
Dichter, der unsere Ilias kennt, oder von ihrem Verfasser selbst
Das Problem ist analog dem, das Aithiopenreise imd Chrysefahrt
stellen. Hat man doch auch an der Athenescene schon oft Anstoß
genommen imd sie athetirt Aber hier isfs noch schwieriger, glatte
aneinander passende Schnittflächen zu finden, als dort So hat sich
denn Heimreich, G.-Progr. Plön 1 883, 1 2 dazu verfuhren lassen, sogar
noch die folgende Rede Achills, in der er den Achaiem Verderben
zuschwört, da sie ohne ihn ohnmächtig seien, mit zu streichen, um
endlich die Nestorscene mit 247 an 192 anzuschließen. Darüber ist
nicht zu reden; das heißt der ganzen Streitscene den Kern aus-
brechen. Aber freilich die Einleitung dieser Rede TTriXeibric b* dEauric
drrapnipoici {irecciv 'Arpetbriv npoci^me macht, wie Lehrs, Aristarch 1 58
gezeigt, den Ansatz an 187 unmöglich. Wir stehen also vor der
Alternative: entweder gehört die Athenescene untrennbar mit dem
Zank der Helden zusammen — dann ist der ganze erste Teil des A
eine einheitliche Schöpftmg des Verfassers unserer Ilias — oder sie
bt eine sorgfaltige Eindichtung, deren Fugen nicht sichtbar sind,
weil ihr Verfasser sie durch Umarbeitung der anschließenden Verse
seiner Vorlage verwischt hat — dann ist die Annahme einer späten
Interpolation nicht gerade wahrscheinlich, sondern man wird auf
den Verfasser unserer Ilias gefuhrt, der, wie nun schon an mehreren
Die Steigerung in der Streits cene 185
aber meine Ehrengabe willst du mir nehmen, die kleine, sauer ver-
diente. Ich leiste am meisten im Kampfe, aber du erhältst die viel
größere Gabe. Jetzt gehe ich heim, denn nicht bin ich willens, dir
Reichtum zu häufen.' — »Fliehe nur/ wendet Agamemnon 173 diese
Drohimg zu hämischem Schimpf lun, yich bitte dich nicht zu bleiben.
Bei mir sind andere, die mich ehren, vor allem Zeus. Geh nur mit
deinen Schiffen und Gefährten imd sei dorten König. Ich schere
mich nicht um dich und deinen Zorn (i79f). Die Chryseis nimmt
mir Apoll, ich gebe sie; aber Briseis,' — zum erstenmal wird sie ge-
nannt — ,deine Ehrengabe, werde ich mir selber aus deinem Zelte
holen, auf daß du wissest, um wieviel höher ich bin als du, und ein
anderer sich hüte, mir sich zu gleichen* (i^7)- — (^^5) 3^^^ du
trunken? Hundsauge! Hasenherz! Du hast niemals gewagt, mit uns
in den Kampf zu ziehen. Freilich viel bequemer ist's, hier im Lager
die Gaben zu rauben dem, der dir widerspricht. Volksverderber,
fiber Nichtsnutzige herrschest du< — da schleudert Achill allen
Achaiem den Schimpf ins Gesicht: sie alle müßten sich mit ihm
gegen Agamemnon auflehnen, Aias vor andern und Odysseus, die
er ebenso wie ihn mit Raub bedroht, aber sie schwiegen: so haben
sie Agamemnons Partei genommen, und er haßt sie mm wie ihn —
,da8 soll deine letzte Beschimpfung sein. Ich sage dir und schwöre
einen großen Eid: so wahr dies Scepter nicht Blätter treiben wird,
so wahr werden sich die Achaier nach mir sehnen, sie alle zusam-
men. Du aber wirst nicht helfen können, wenn sie unter Hektors
Händen fallen; Ärger wird dann dein Herz zernagen , daß du mich,
den besten Helden, nicht geachtet'
Achill antwortet hier (225 — 244) genau auf Agamenmons letzte
Rede (173 — 187). Seine niederträchtige Unterstellung q)€OT€ jidXa
('73) vergilt er ihm seinerseits durch den Vorwurf der Feigheit 226 f
und bekräftigt ihn 228 tö hi toi irf|p etberai etvai. Die Geringschät-
zung seines Heldenwertes (174, i79f) beantwortet Achill mit jenem
Schwur. Grandiose Knappheit! Keine langen Erklärungen, er nimmt
nicht die Ankündigung seiner Abreise zurück; es ist ihm selbstver-
ständlich, daß er jetzt bleibt, selbstverständlich, daß er den-
noch nicht mehr mitkämpft, selbstverständlich, daß die Achaier
ohne ihn den Hektor nicht bestehen können. Rache will er. Mit
Not und Tod sollen die Achaier alle zusammen büßen für die ihm
Die Aihenescene ist vom Verfasser unserer Hias ein gedichtet 189
zu achten I daß man ihn als schlechte Entlehnung aus ß 80 hinge-
stellt hat Sie hat ihren Grund darin, daß Achill etwas viel Wirk-
sameres , Aufregenderes schon vorher getan, das Schwert gegen
Agamemnon herausgerissen hatte. Frage ich nun, ob das die Ab-
sicht des Dichters gewesen sein kann, so weiß ich keine andere
Antwort als unbedingtes Nein. Denn es ist ausgeschlossen, daß ein
Künstler eine mit so viel Kunst vorbereitete imd für sein großes
Werk so wichtige Wirkung selbst beeinträchtigt haben könnte. Und
für ganz immoglich halte ich die gleichzeitige Conception der Streit-
scene und der Atheneintervention, um das gezogene Schwert wie-
der in die Scheide zurückzubringen. Ein weiteres Moment kommt
hinzu, auf das Heimreich ^' hingewiesen hat: das Schwertzücken
bringt gar keinen Effect hervor. Niemand kümmert sich darum,
Nestor erwähnt es nicht mit einem Worte, selbst Agamemnon, der
doch diese günstigste Gelegenheit, seinen Feind zu schänden, hätte
benutzen sollen, deutet mit nichts auf diesen vor aller Augen ge-
machten Versuch offener Rebellion, schwersten Verbrechens gegen
Bundestreue und Burgfrieden. Gewiß, das ging nicht an. Aber wo-
zu soll der Dichter diesen Zug denn erfunden haben, gar ein Dich-
ter wie der Meister dieser herrlichen Streitscene?
Es ist erwiesen: der alte straff steigernde Aufbau der Streitscene
ist durch Eindichtung beeinträchtigt. Es kann sich nur noch darum
handeln, ihre Grenzen zu bestimmen. Sie umfaßt das Ziehen des
Schwertes und die Dazwischenkunft Athenes, also sicher 193 — 222.
Die Verse vorher 188 — 192 sagen dies: ,Agamemnons Worte gaben
Achill einen Stich ins Herz und er überlegte in seiner zottigen
Brust, ob er das Schwert zücken, Aufstand machen (191 touc \kky
dvacrrjceiev) und Agamemnon töten oder seinen Grimm bezwingen
solle.< Er überlegt, aber er tut's noch nicht In demselben Augen-
blick, wo er den Knauf packt und zieht, würden alle aufspringen
— das weiß er wohl — , dann gibfs kein Halten mehr und kein Zu-
rück. Gehören diese fünf Verse zur älteren Dichtung, so muß nach
ihnen, also nach 192 geschnitten werden. Sie gehören ihr. Dieser
Achill durchzuckende Gedanke malt eindringlich die furchtbare
Wirkung, die Agamemnons Worte auf ihn gemacht, aber sie bleibt
" Vgl. Heimreich, G.-Progr. Plön 1883. — Über die Göttermaschincric s. un-
ten im 22. Stück, ,Verf. unserer Ilias'.
Gründe för die Eindichtung der Athenescene 191
d^ufiovac Al8i07n\ac x^iZöc fßri Kaxd baixa, 8eol b' fi^a irdvrcc Iitovto,
das personliche Erscheinen der Athene erst selbst ins A einge-
arbeitet haben würde. Doch mir scheint diese Annahme nicht im-
moglich. Denn, wie ich gezeigt zu haben meine, hat der Verfasser
jenes Verses auch die Chrysefahrt gemacht imd dort trotz 424 un-
genirt den ApoUon das Gebet seines Priesters hören lassen. Wer
diese Leichtfertigkeit — wenn man sie so nennen darf — beging,
dem traue ich auch zu, daß er 200 Verse vorher Athene am selben
Tage zu Achill treten ließ, an dem Thetis erklärt, seit gestern seien
alle Götter abwesend. Er benutzte eben rücksichtslos seinen Götter-
apparat zu augenblicklichen Zwecken. Schlecht hat er aber das doch
nicht gemacht: bis auf Lachmann hatte niemand hier Anstoß genom-
men. Die Athenescene gehört jedenfalls dem Verfasser unserer Ilias.
Ich glaube, eine andere Erwägung war noch für seinen Ent-
schluß, sie einzudichten, maßgebend. Hera und Athene sind in
seinem Werke die Schützerinnen der Achaier, Athene insbesondere
Achills Helferin. Dies bereits in der Exposition anzubringen, schien
ihm wünschenswert Mit Recht Oberall setzt er die Götter in Be-
wegimg, so ist es billig und stilgerecht, daß er sie auch in der ersten
grundlegenden Scene ihr Literesse durch tätliches Eingreifen bekim-
den läßt Dafür ergab sich nur diese eine Gelegenheit, wo dem
Achill der Jähzorn den Gedanken eingibt, das Schwert zu ziehen.
Sie hat der Verfasser ergriffen, hat zugleich die Olympier einge-
mischt und die Achaierfreimdinnen wie die Helferin Achills vorgestellt
Er dachte sie wohl auch im Gegensatz zum Pestbringer Apoll, dem
Rächer des Troers Chryses, der immerhin als Feind der Achaier
daraufhin gedeutet werden konnte. Aber man braucht beide Götter-
scenen nur zu vergleichen, um diese Auffassung als unberechtigt zu
erkennen und den imgeheuren Stilimterschied zu empfinden. Die
Schilderung Apolls ist durch ihre Anschaulichkeit, die Wucht des
Ausdrucks, die unheimliche Stimmimg eine der schönsten der Ilias,
ein Kleinod der Poesie.^' Wie mager imd zugleich wie breit, wie
leer und üblich ist gegen jenes Meisterstück die Athenescene.
'* K. Witte, Singular und Plural 105 (vgl. P. Maas, Berl. philolog. Woch.
1908, 1406 ff) hat es fertig gebracht, A 45 — 47 zu athetiren, und bedankt sich bei
Prot Norden, der ihn zuerst auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht. Das
kami doch der Verf. des Commentars von Aeneis VI unmöglich sein?
D<is gereinigte A gehSrt zu dem in ATT nachgewiesenen älteren Gedicht 193
von Agamemnon neben Achill genannt werden, so paßt gut dazu,
dafi die Analyse des A gerade diese beiden Helden neben Diomedes
als Verteidiger der Schiffe für jenes ältere Gredicht gewonnen hat
Hier ist es Zeus selbst, der durch eigenes Eingreifen die Achaier
und ihre Helden, schließlich den gewaltigen Aias zur Flucht wendet
A 3 1 9, 544, TT 1 03. Und im A gewährt Zeus auf Thetis' Bitte dem
Schwur Achills Gewährung: die Troer soUen siegen, um ihm Ge-
nugtuimg zu verschaffen. Das klingt alles im großen wie im kleinen
zu harmonischer Einheit zusammen.
Auch der Stil des A und seine Technik zeigen die Eigenschaften
der für jenes ältere Gedicht herausanalysirten Stücke ^^: Knapp-
heit der Erzählung, wilde Leidenschaftlichkeit neben zarter Weich-
heity herbe Grroße der Charakterzeichnung, wenige und kurze Gleich-
nisse, viele Reden, aber von gednmgener Kraft.
Knapp und straff anschaulich klar wie im Beginn des A ist die
Erzählung A 600, die den Auszug des Patroklos einleitet, oder die
Schilderung TT 123, wie Aias schließlich vom Schiffe weicht und
Hektor Feuer hineinschleudert. In dramatischem Dialog voU ge-
drungener Kraft entwickelt A den Streit der Fürsten, motivirt TT die
Entsendung des Patroklos. Achills bis zur Grausamkeit gesteigerte
Leidenschaft und Rachelust malt mit denselben Mitteln A 240 und
A 600. Aber mit bewundenmgswürdiger Kunst ist daneben zarte
Weichheit gesetzt: A 350 weint Achill vor seiner Mutter, TT 5 faßt
den Fürchterlichen Mitleid, als er Patroklos' Tränen sieht Klare,
scharf umrissene lebensprühende Charaktere zeichnet A, und jene
Stücke des älteren Gedichts in TT und A stehen ihm wahrlich nicht
nach. Erhabene Großheit, straffe Gesammeltheit, bewußte Kunst
zeichnen alle diese Stücke aus. Derselbe Stil, dieselben Mittel sind
in A wie in jenen anderen verwendet
So scheint vieles dafär zu sprechen, daß A der Anfang jenes
älteren Gedichts sein könne, das der Verfasser unserer Ilias zu
Grrunde gelegt hat Und doch drängen sich immer wieder Bedenken
1« Vgl. B. Niese, £. H. P. 136, der die Gleichheit des Stib an TT 119 ff im Ver-
gleich zum A zeigt.
Betbe, Homer 13
Die olympische Scene des ^ 203
g-enickt: so retten sie wenigstens diese berühmten Verse A 528 bis
530 für die ältere Poesie und wahren ihr Gewissen. Aber das läßt
sich nicht halten. Ziinächst ist Z 75 keine feste Stütze. Denn der
Verfasser unserer Ilias hat diese Scene erfunden, um die Hoplopöie
anzuknüpfen y imd es ist nicht abzusehen, warum er jenen unbedeu-
tenden Zug einer verschollenen Dichtung angebracht haben sollte.
Zudem steht da auch nicht, daB Achill zu Zeus gebetet. ,Zeus hat
alles vollendet, sagt Thetis, wie du, Achill, die Hände erhebend
wünschtest* Der Ausdruck ist nicht ganz scharf, wie derselbe Mann
auch X 447, 453 in Thetis' Bericht zu Hephaist und in den Orakeln
des Zeus 475 (vgl. 69) kleine Unklarheiten begangen hat Wer
von ihnen aus die Ilias zu analysiren und ältere Gedichte zu recon-
struiren unternimmt, ist bald im Dunkeln. Dagegen gehörte das Ge-
bet Achills an Zeus lun Patroklos' glückliche Heimkehr, in dem das
andere Zeugnis TT 236 steht, meiner Meinung nach jenem älteren
Gedichte wirklich an: ,wenn du mein Wort hörtest, des Bittenden,
mich ehrtest und die Achaier schlugst' Aber genügt dies wirklich,
um eine andere Fassimg der zweiten Hälfte des A zu verbürgen?
Widerspricht denn dieser Vers durchaus dem, was dort erzählt ist?
Thetis überbringt dem Zeus ihres Sohnes Bitte, und er hört sein
Wort und erfüllt es. Achills Ausdruck TT 236 ist nicht von philo-
logisch juristischer Genauigkeit, aber er gibt den Sachverhalt richtig
wieder. Daß man nun aber gar die herrliche Schilderung des Ge-
währung nickenden Zeus A 528 — 530 als Antwort auf Achills Gebet
fassen und, um das möglich zu machen, \ii^av V dX^XiEev ^'OXujliitov um-
deuten soll auf den Himmel, das ist zu viel zugemutet. Nein, sie
paßt, wörtlich genommen, vortrefflich zu der Situation, in der sie
steht Zeus thront allein auf dem höchsten Gipfel das Olymp, da bit-
tet ihn Thetis imd er nickt, und vom Neigen seines mächtigen Haup-
tes bebt der Olymp.
Der erhabene Stil dieser vielbewunderten Worte, das hat man
richtig empfunden, steht dem göttlichen Ehezwiste und seiner burles-
ken Versöhnung ebenso fem, wie er der herben Strenge des Fürsten-
streites und der düsteren Schönheit der Pestschilderung verwandt
ist Untrennbar aber ist von ihm die Bitte der Thetis auf dem Olymp
und von dieser das Gespräch Achills mit seiner Mutter. Diese Ver-
wandtschaft tritt noch deutlicher hervor, wenn man außer dem Ein-
Zweck des B ßir unsere Ilüu 2 1 1
Unsere Ilias hat nicht nur den Zorn Achills zum Inhalt, sie er-
zählt die entscheidende Wendung des Rachekrieges der Achaier
gegen Ilion. Für die Menis hat das A die herrlichste Exposition ge-
geben, über sie hinaus ist auch schon die Opposition der Hera
gegen Zeus' Ratschluß angedeutet, ihre und Athenes Parteinahme
für die Achaier, auch Nestors Stellung ist bereits gezeichnet Aber
der Zweck des Krieges, die Zerstörung Ilions ist nur nebenher und
flüchtig A 19, 129 berührt, ihr Grund nur 159 knapp angedeutet,
Helenas Name ist noch nicht einmal genannt Wie lange die Achaier
schon vor Troia liegen, ob und wann ein Ende des Krieges abzu-
sehen sei, davon ist noch nichts gesagt, von den Helden und Streit-
kräften der Angreifer und Verteidiger war noch nicht die Rede.
Das alles muß B leisten und zugleich die Handlung des A weiter-
fuhren. Dies geschieht aufs glücklichste durch die Entsendung des
oOXoc dveipoc und die Rüstung zur Schlacht. Daß Zeus auf diesem
Wege dem Achill Rache verschaffen will, wird uns B 4 eingeprägt,
und an Achills Zorn wird unten noch erinnert B 239, 377, 769. Die
Exposition wird derart weitergeführt, daß der Krieg als Rache für
den Raub der Helena B 161 ff — 176 ff, 356, 590 hingestellt, als sein
Zweck die Zerstörung Ilions B 113, 133, 288, 329, 352 ff betont wird.
Breiter wird 135 ff und 30off erzählt, daß neun Jahre schon seit sei-
nem Beginne verflossen sind, und Odysseus erinnert in ausfuhrlicher
Rede an das Spatzenorakel bei der Ausfahrt in Aulis, das Kalchas
auf die Eroberung Ilions im zehnten Jahre gedeutet habe. Die Ka-
taloge stellen ausführlich Helden und Streitkräfte vor.
Es ist wichtig, sich klar zu machen, daß eS dem Verfasser unserer
Ilias insbesondere darauf ankam, schon im B auf den nahen Fall
Ilions hinzuweisen und die Hörer mit dieser Oberzeugung zu er-
füllen. Er hielt das wohl für nötig, \mi ihr Nationalgefühl von vom-
herein zu beruhigen, das durch die angekündigte Niederlage der
Achaier bereits gereizt war. Er mußte aber auch so verfahren nach
der ganzen Anlage seines großen Epos. Es endet mit Hektors Tod
und den Klagen um ihn. Sie sind der Ausdruck der Verzweiflung.
Mit Hektors Tod ist Uion seines Beschützers beraubt, nun ist der
Untergang gewiß. Aber nicht erst in XQ wird uns dies mit über-
wältigender Tragik eingeprägt, schon die Besiegung der troischen
Flußgötter durch Achill, die Niederlage der olympischen Troer-
14*
Camposth'an der Bücher V — H 215
Trotzdem fallen V — H nicht aus unserer Ilias heraus. Der An-
griff der Achaier ist im B durch den ouXoc dveipoc motivirt und
zugleich mit der Menis in engste Beziehung gesetzt Auch der Aus-
zug der Troer ist B 786 erzählt, und wenn der Dichter nicht den
zur Beobachtung des Feindes postirten Späher Polites, sondern die
Götterbotin in seiner Gestalt die Meldung des Anmarsches bringen
läßt, so tut er das doch, um die Handlung mit einer besonderen
Feierlichkeit einzuleiten. Andrerseits wird am Schlüsse des H die
für M notwendige Mauer gebaut und die Niederlage der Achaier
am folgenden Tage durch üble Vorzeichen eingeleitet Wichtiger
ist die Einsicht der k&nstlenschen Notwendigkeit dieser Bücher
r — H für die Composition und das Gleichgewicht unserer Ilias. Ich
habe das im i. Stück dargelegt und zugleich gezeigt, wie sie, wirk-
lich eine Ilias, den Krieg in seiner Gesamtheit und die Überwälti-
gung Ilions darstellen will und deshalb der Achaiersiege, die nur
hier anzubringen waren, nicht entraten konnte und die verzweifelte
Todesstimmung der Troer schildern mußte.
In sich sind V — H abgerundet Sie füllen die Schlacht des ersten
Tages, der mit f beginnt, mit H schließt Sie sind von den folgen-
den Büchern gesondert durch Verhandlungen H 32 5 ff, Waffenstill-
stand H 375, 408, Totenbestattung H 421, Mauerbau H 436, und ge-
wichtig den Abschnitt bezeichnend hebt die weitere Erzählimg mit
einer Götterversammlung 6 i an. Tritt so ihre äußere Abgrenzung
deutlich hervor, so sind sie auch in sich wohl disponirt imd abge-
rundet
Zwei Einzelkämpfe fiankiren sie, augenfällig als Gegenstücke
componirt: dem Zweikampf des Alexandros undMenelaos im V ent-
spricht der Rektors mit Aias im H. Beide Male fordert der Troer,
siegt der Achaier, aber dem prahlerisch feigen Alexandros, den
Hektor zwingen muß, seinem Gegner entgegenzutreten, ist hier fest
und treu der mächtige Hektor gegenübergestellt, vor dem die
Achaierhelden bangen. Und in der Mitte dieser fünf Bücher im E
hebt sich als Kernstück die Aristie des Diomedes heraus.'
Dieser symmetrische durch einen Künstlerwillen hergestellte
' Den symmetrischen Bau der Bücher f— H hat schon Düntzer hervorgehoben
Hom. Abhdlg. 366.
Der Anfang des 7. 22^
Richtung geschrieben. Seine eigene Kunst liegt in ihrer Verwendung
und Verbindung. Es ist nichts geringes, so Verschiedenes unter einen
Plan zu beugen, einem großen Ganzen dienstbar zu machen. Die
Aufgabe der Analyse aber ist es, gleichzeitig sein Mortelwerk von
den eingemauerten älteren Werkstücken zu imterscheiden und so-
wohl seiner Arbeit durch Darlegung ihres Zweckes und ihrer
Schwierigkeiten gerecht zu werden, als auch die ausgelösten Ge-
dichte zu reconstruiren.
VIERZEHNTES STÜCK
Z • BITTGANG DER TROERINNEN UND REKTORS
ABSCHIED^
Den Kern des Z bilden die Erzählungen vom Bittgang der tro-
ischen Frauen zu Athene auf Hektors Anordnung, von Hektors Be-
such bei Paris, um ihn in die Schlacht zu holen, und von Hektors
Abschied von Andromache. Ihnen voran geht eine Schildenmg von
Achaiersiegen Z 4 — 72, dann die AufForderung des Helenes an
Hektor, der Not zu steuern durch Aufhalten der fliehenden Troer
vor dem Tore und persönliche Veranlassung der Frauenprocession
zu Athene. Man hat daran Anstoß genommen, daß in dieser schlim-
men Lage der beste Held aus dem Kampf entfernt werde zu einem
Gange in die Stadt, den ebensogut ein Bote tun könnte. Das ist
richtig und doch unberechtigt Denn es liegt ja auf der Hand, daß
die Helenosrede nur deshalb erdichtet ist, um den Hektor in die
Stadt zu bringen. Man kann streiten, ob diese Erfindung geschickt
oder ungeschickt ist, aber leugnen kann man diesen ihren einzigen
Zweck nicht Und doch ist er, obgleich schon öfter hervorgehoben,
immer wieder verkannt.
Ist nun diese Helenosepisode Z 73 — 118 die ursprüngliche Ein-
leitung zur Erzählung des Bittganges, die in der Tat den Hektor
> Aus Abhdlg. phUog.hbt. Kl. d. Sachs. Ges. d. Wiss. XXVII (1909) S. 416
bis 434 mit kleinen Verbesserungen wiederholt. Vgl. die eindringende Besprechung
TOD Ove Jörgensen, Nordisk Tidsskrift for Filologi XX (191 1) 1—47.
Bcth«» Homer 15
Die Helenosepüode des 7. 2 2*]
schlage, wird nicht gesagt Erst Z 5 — 73 schildern ein neues Vor-
dringen der Achaier, aber diesmal unter Führung des Aias, der
(Z 6) die Schlachtreihe der Troer durchbricht, während Diomedes
hier nur eine verschwindende Rolle (Z 12 — 19) spielt Als ernst
wird diese neue Niederlage der Troer erst Z 73 geschildert mit den
Eingangsversen der Helenosepisode: ,nun wären die Troer, von den
Achaiem gedrängft, ohnmächtig in die Stadt geflohen, wenn nicht
Helenos zu Aineias und Hektor also gesprochen hätte/ Es ergeben
sich von selbst diese Folgerungen: das Grebet der Troerinnen zu
Athene um Hilfe wider Diomedes gehört nicht mit E zusammen,
sondern ist nachträglich imd oberflächlich mit diesem verbunden i.
durch die kleine Reihe von Achaiersiegen Z 5 — 73, die überall
ebensogut stehen konnten, und 2. durch die Helenosepisode. Folg-
lich ist auch diese ein Verbindungsstück, so gut wie der Anfang des
Buches. Das macht die Nennung des Aineias verständlich, verständ-
lich auch die geflissentliche Hervorhebung des Diomedes durch
Helenos' letzte Worte 98 — loi, die ihn als Gewaltigsten der Achaier
preisen: ,auch Achill hatten wir so nicht gefürchtet; aber dieser da
rast gar zu sehr, imd niemand kann ihm Stand halten.' Die Verglei-
chimg mit Achill ist ungehörig in einem Diomedesgedichte, wie ihn
denn das E auch nie erwähnt* Sie wird mir erst begreiflich, wenn
ich mir vorstelle, daß sie vom Verfasser imserer Ilias stammt, der
ein Interesse hatte, die Erinnenmg an Achill auch in diesen Büchern
ein oder das andere Mal zu wecken. Er mußte auch, wenn er ein-
mal, wie er es getan, den Bittgang in sein Epos aufnahm, die Ver-
bindung mit der Diomedie herstellen: dazu hat er die Schlachtschil-
derung Z 5 — 72 eingesetzt und die Helenosepisode 73 — 118 selbst
gedichtet; ist er es doch auch, der H 44 den Helenos als Seher ein-
fuhrt, während dieser sonst nur als Kämpfer erscheint, vgL M 94»
N 576, 582, Q 249. »Gedichtet* freilich hat er die Helenosepisode wie
das H nicht so sehr als vielmehr aus meist entlehnten Versen zu-
sammengesetzt Sogleich Z 73f steht auch P 3i9f vgl 336f, Z 76
oiuivoiTÖXuiv dx' äpiCTOc stammt aus A 69, Z 87 — 97 sind aus 269 — 278
übertragen. Z 103 — 106 stehen passender E 494 — 497; denn daß
' Denn E 788 ist mit der ganzen Stelle E 711—743, wie längst erkannt, em
Zusatz, und zwar des Verfassers unserer llias.
IS*
Widersprüche im 2. 22g
die Paläste gedacht (Z 317), in jenem (Z 297) der Tempel der
Athene.* Z 3 1 3 ff hat Paris ein eigenes Haus mit Thalamos imd Hof
in der Nähe von Priamos und Hektor (317), aber der Dichter des
Bittganges (242) kennt nur ein Haus, und das gehört dem Priamos,
und in diesem wohnen alle fünfzig Söhne in Thalamoi dicht anein-
ander, und gegenüber innerhalb seines Hofes in zwölf Thalamoi die
Schwiegersöhne. Und ein Drittes. Die troischen Frauen bitten Athene
um Schutz gegen Diomedes (306, 277, 296), der am Skäischen Tore
wütet; aber Hektor, der den Paris in die Schlacht treiben will, sagt
ihm nichts von diesem Dränger, und Andromache, die vom Turm
aus die Schlacht verfolget hat, nennt 436 den Diomed nur unter vielen
andern erst an letzter Stelle.
Diese Widersprüche schließen die Einheitlichkeit dieser Dich-
tung aus, weil es undenkbar ist, daß ein Dichter so sehr sinnlicher
Anschauung ermangelnd und so wenig fähig, eine für ihn wichtige
Voraussetzimg festzuhalten, doch so Anschauliches und Ergreifen-
des hätte bilden können, wie der Bittgang ist und der Parisbesuch
imd Hektors Abschied. Der notwendigen Folgerung, den Bittgang
als ein fremdes Stück abzutrennen, stehen aber hindernd entgegen
zwei Stellen, die sowohl Hektors Gang zu Paris wie sein Zusammen-
treffen mit Andromache zum Bittgang in enge Verbindung bringen.
Hektor fragt nämlich 379, als er seine Gattin nicht im Hause findet,
ob sie mit den Frauen zu Athene bete; und andrerseits kündet 279
Hektor seiner Mutter, nachdem er ihr den Auftrag gegeben, den
Bittg^g anzuordnen, an, er werde jetzt gehen, den Paris zu rufen.
Beide Stellen haben längst aus andern Gründen Anstoß gegeben,
Düntzer (Homer. Abhdlg. 26of, 277) und andere wie Naber 158
haben sie athetirt So falsch dies ist — denn sie sind ja unentbehr-
lich für den Zusammenhang, in dem wir sie lesen, und den hat eben
der Verfasser unserer Ilias hergestellt — , so berechtigt sind die An-
stöße. Hektor flucht 279 — 285 vor den Ohren Hekabes seinem Bru-
der Paris und wünscht ihm den Tod. Wenn irgendwo, so ist hier
das Ziemliche verletzt Die alten Erklärer scheinen das gefühlt zu
haben. Die Mutter hat darauf kein Wort der Begütigung, es ist auch
nicht einmal eine Andeutung gemacht, daß dieser Ausbruch sie be-
* Robert, Stud. zur Uias 196.
Hektars Abschied im Z und unsere lUas 2^^
berufen. Aber in unserer Ilias steht dieser letzte Abschied des Hel-
den im 6., sein Tod erst im 22. Buche. Dazwischen liegen Hektors
größte Ruhmestaten, ja er kehrt sogar auf Tag und Nächte zurück:
H 310. Auf der Burg von Ilion vor dem Palast des Priamos wird
unter dessen Vorsitz ein Rat gehalten, ob Helena und die Schätze
dem Menelaos zurückgegeben werden sollen, H 3 45 ff, und in dem
das Gesuch um Waffenstillstand beschlossen wird, H 375. Selbst-
verständlich ist Hektor gegenwärtig — wie könnte ohne ihn über
Krieg und Frieden beraten werden? Am andern Morgen erst (H 372,
381) geht der troische Herold ins Achaierlager. Die Toten werden
bestattet imd eine zweite Nacht (H 465) ist dem Paare beschieden,
das sich schon auf ewig todestraurig Lebewohl gesagt hatte. 655
rüsten sich die Troer in der Stadt und ziehen 58 aus den Toren ins
Schlachtfeld.'
Nun wende ich mich der Untersuchung des zweiten ausgelösten
Werkstückes zu, des berühmten Gedichtes Z 313 bis H 7. Es gilt zu-
nächst, seine Einheitlichkeit zu erweisen^, dann wie bei dem Torso
' J. V. Leeuwen, Comment. Hom. i32s.Mnemosyne 1910, 338, der gegen meinen
Aufsatz opponirt, gibt anstandslos die Unmöglichkeit zu, daß der Dichter von
Hektors Abschied das Ehepaar je wieder zusammengeführt haben könne. Wenn
er nun aber die widersprechenden Stellen der Dias H 310, 345» 478, 6 55 — 59 durch
Athetese, Conjectur und überkühne Interpretation eliminirt, so ist das eine Methode
der Verzweiflung und gegen die Absicht ihres Erfinders ein vorzüglicher Beweis,
daß unsere Ilias nicht vom Dichter des Abschieds verfaßt ist. M. Valeton (Am-
hein) ist ihm im einzelnen entgegengetreten Mnemosyne XL (191 2) 318 fr, übrigens
betreffs des Abschiedes derselben Überzeugung wie ich.
' Die Einheitlichkeit von Z312 bis Schluß sowohl wie die Notwendigkeit, sie
vom Bittgang zu trennen und aus andern Voraussetzungen zu erklären, hat zuerst
wohl C. Aug. Jul. Hofhnann ausgesprochen, Quaest Homer. II 183 und 209 f (1848).
Unter Hervorhebung des Parallelismus der Contraste hat die Einheitlichkeit be-
gründet L. Gerlach (Parchim), Philolog. XXXIII (1874) 205 f. Stinmie ich auch in
wichtigen Einzelheiten nicht mit ihm überein, und teile ich auch nicht seine Auf-
iassimg von der Einheit der Ilias und der Odyssee, so hat er doch so gute Be-
merkungen gegen die Homerkritiker gemacht und den Mißbrauch, den sie mit der
Sage treiben, und so feines Verständnis für die Composition und das Arbeiten des
Dichters mit Contrasten (z. B. S. 203 über die Begegnung des Odysseus mit Nau-
sikaa) gezeigt, daß ich einige seiner Sätze über Hektors Abschied ausschreiben
möchte:
,Auch hier ist es denkbar, daß dieser Gegenstand, wenn auch nicht als be-
sondere Sage, so doch als selbständiges Gedicht dem Homer bereits vorgelegen
Kunst der Gegensätze 237
mungen hin; wie er über seinem Groll seine heiligste Pflicht ver-
gessen hat, läßt er sich auch leicht wieder besänftigen — seines
Weibes Worte scheinen es mehr als Hektors Mahnung vermocht zu
haben — , und einmal gerüstet springt er, seines bimtes Glanzes froh,
leichtherzig in die Schlacht und entschuldigt liebenswürdig sein
spätes Kommen (519) vor seinem Bruder, der ihn eben gescholten.
Sein Haus ist schon (3i4f), die besten Meister haben ihm Thalamos
imd Haus und Hof erbaut; von Hektors Haus heißt es nur, es war
wohnlich (370), — Wie es den Hektor zu Andromache drängt, so
sie zu ihm: fast wären sie so um das letzte Wiedersehen gekommen;
mm nehmen sie Abschied auf der Gasse. Von Paris' Abschied schweigt
der Dichter, ein flüchtig heiter Wort wird er der Frau zugerufen
haben, um die der Krieg tobt und ein ganzes Volk blutet Helena
fühlt den Fluch ihres Schicksals und schämt sich der Pflichtver-
gessenheit ihres schönen Entfuhrers, sie treibt ihn in die Schlacht,
sie will keinen erbärmlichen Mann haben; aber trotz aller Selbstan-
klage fühlt sie sich doch als die vielberühmte Frau (358). Andro-
mache lebt nur in ihrem Gatten; 'Vater, Mutter, Bruder ersetzt er
ihr, ihr einziger Schutz, ihre Sorge und ihre Liebe, an ihm hängt
ihr und ihres Sohnes Sein. Sie kennt seinen Heldenmut und ahnt,
er wird ihn in den Tod treiben, sie bittet ,bleibe bei mir*. Hier die
heilige Ehe zweier tiefernster, ehrlicher Menschen, so fest und heilig
wie der Herd des Hauses und der Frieden der Stadt, nur der Tod
kann sie lösen; dort ein schönes, liebenswürdiges, eitel-oberfläch-
liches Paar, leichten Herzens hat es sich zusammengefunden über
Eidbruch imd Verderben, und leichten Herzens trennt es sich. He-
lena treibt ihren Gatten in den Kampf; Andromache sucht Hektor
daheim zu halten.
Wer der Gegensätzlichkeit dieser Dichtung nachgedacht und
ihre Wirkung empfunden hat, der wird den Versuch, ihre beiden
Teile voneinander zu lösen, von vornherein abweisen und jeder
Widerlegung sich überhoben fahlen. Findet sich doch auch kein
Widerspruch, keine Abweichung in diesem Stücke.
Wenn man es nun unternimmt^ den Zusammenhang wieder-
herzustellen, für den es ursprünglich gedichtet war, so muß man
sich vor allem befreien von den uns durch die Ilias vertrauten, und
fast möchte ich sagen selbstverständlich gewordenen Vorstellungen.
Z 433-439 241
wirrenden Hinweisen ausgeführt habe, das ist mir unglaublich. Zur
Überzeugung wird es mir durch die Betrachtung des Aufbaues von
Hektors Antwort und Andromaches Rede.
Aristarch hat mit vollem Recht gegen diese Verse 433 — 439
angeführt, daß Hektor nichts auf sie erwidere. Denn seine ersten
Worte, die trotzdem immer wieder als Ablehnimg dieses strate-
gischen Rates angesprochen werden, können nicht auf ihn bezogen
werden:
fj Kai i)io\ Tdbe irävTa fiAei, ipjvar dXXot ^dX' aivujc
alb^o)üiai Tpdiac Kai Tptiidöac ^XKeciTT^TrXouc
a! Ke KaKÖc i&c vöcqpiv dXucKd2[ui ttoX^^oio . . .
Was Tdb€ irdvTa ist, das ,auch ihm< am Herzen liegt, zeigt schon
der folgende Satz in aller Deutlichkeit und die ganze Rede: die
Sorge um die Zukunft, um das Schicksal von Weib und Kind, wenn
sie des einzigen Schützers beraubt werden. ,Aber so schwer auch
mich diese Sorge drückt, ich kann nicht wie ein Feigling dem Kampfe
ausweichen, wie du verlangst, Scham und Ehre treiben mich in die
Schlacht, obgleich ich weiß, ich werde dem Unheil nicht wehren
können l<
Andromaches Rede ist bis 432 ein fest geschlossener Ring,
433 — 439 stehen außerhalb seines Kreises. ,Dein Kampfesmut wird
dich verderben^, hebt Andromache an, und sogleich stellt sie dem
entgegen das Mitleid, das er mit seinem Sohn und seinem Weibe
haben sollte. Wenn Hektor fallt, wünscht sie sich den Tod. Denn
nur Schmerzen warten ihrer dann. Sie hat nicht Vater und Mutter.
Achill hat ihn getötet, als er seine Stadt brach. Bei seinem Grabe
verweilt sie, das er der Großmut fles Siegers dankt, imd dem Frie-
den der Ulmen, die es beschatten — ob auch Hektor so ruhen wird?
Ihre sieben Brüder fielen am gleichen Tage von Achills Hand, und
ihre Mutter, von ihm fortgeschleppt, vom eigenen Vater zurückge-
kauft, ist wenigstens im Vaterhaus gestorben — ihr kann es so gut
nicht werden. Ihr ist Hektor ja alles, Vater, Mutter, Bruder, Gatte.
,So habe denn jetzt doch Mitleid imd bleibe hier auf dem Turm,
mach nicht deinen Sohn zur Waise und zur Witwe dein Weib.* —
Sie ist wieder zu ihren ersten Worten zurückgekommen, Im Anfang
hatte sie ihnen fast die Form eines Vorwurfe gegeben, jetzt kleidet
Beth«» Homor l6
Arulromaches Vater und Heimat 245
6 187; auch König von Theben wird er im X genannt Daß aber
Achill diese Stadt zerstörte, das könnte schon vielleicht als seine
Erfindung gelten. Zwar kehrt diese Angabe noch wieder in A 366,
TT 153, Y 827 und I 188, aber von diesen Stellen sind die ersten drei
späteste Zutaten, und nur I 188 kann als eventuell imabhängig
gelten; X sagt nichts davon. Jedenfalls ist in den letzten Stellen
diese Überlieferung als eine fertige verwendet, bequem für Neben-
werk; der Dichter von Hektors Abschied aber brauchte für den
künstlerischen Zweck seiner Dichtung gerade Achill als den Zer-
störer. Er mufite ihn dazu machen, wenn er's noch nicht war. Dafi
er imigekehrt durch die Überlieferung, Achill habe Eetions Stadt
zerstört, zur Conception der Andromacherede gekommen sei, wird
schwerlich wahrscheinlich gemacht werden können. Wir sehen den
Mann ja auch weiter an der Sage dichten. Um Andromache ganz
zu vereinsamen, all ihr Wohl imd Wehe allein an Hektor zu hängen,
und um zugleich Achill als ihr böses Schicksal hinstellen zu können,
der ihr alles genommen hat und bald auch den letzten Schutz neh-
men wird, läßt er den Achill den Eetion erschlagen und ihre Brüder,
alle sieben, und ihre Mutter wegführen. Das ist alles Gelegenheits-
erfindung, kenntlich auch daran, daß er sich nicht die Mühe genom-
men hat, Namen zu geben. Zweck haben diese Erfindungen nur für
diese Rede Andromaches, um durch den Mund der nicht ahnenden
Frau dem Hörer das, was er weiß, als Ahnung schwer auf die Seele
zu legen: Achill wird auch Hektor erschlagen. Das aber konnte der
Verfasser unserer Ilias nicht an dieser Stelle seines Werkes brauchen,
wo er den Achill vom Kampfe entfernt hält Um seine Hörer von
Achill abzulenken und einen gewissen Zusammenhang mit den von
ihm geschaffenen Voraussetzungen des Z herzustellen, hat er, wie
ich glauben möchte, die oben besprochenen Verse 433 — 439 einge-
fugt, nach denen von andern Achaierhelden, niu' nicht von Achill
Gefahr droht.
Damit ist niu- ein Teil der Reconstruction des Gredichtes geleistet.
Neben Hektor steht Paris. Welche Absichten hatte der Dichter mit
ihm? Die genaue Prüfung der erhaltenen Scenen gibt auch darüber
Gewißheit
Wenn trotz der schweren Bedrängnis der Troer, die als not-
Paris und Achill 249
In unserem V tönt davon wenigstens noch ein Nachklang. Alexan-
dros kämpft allein mit Menelaos um ihren Besitz; aber er ist da
schon der weichliche Schützling der Aphrodite. Sonst tut er nichts
in der Uias, als daß er — meist mit seinen Pfeilen — drei Unbe-
kannte tötet (H 8y N 660y 341) und im A den Diomed (370), Machaon
(506), Eurypylos (581) verwimdet. In der ganzen letzten Hälfte ist er
fast verschwunden. Aber einmal wird er doch noch genannt an be-
deutender Stelle: der sterbende Hektor prophezeit dem Achill den
Tod am Skäischen Tor durch Paris und Apoll (X 359). Da tritt die
alte Vorstellung seines Heldentums hervor: er besiegt den Achill,
der den Hektor gefallt hat Apollons Hilfe schwächt seine Großtat
so wenig ab wie Athenes Beistand den Sieg Achills über Hektor.
Die Aithiopis hatte Achills Tod erzählt Wie er dem Paris dort er-
lag, ist uns nicht unmittelbar überliefert. Aber bei dem alles über-
ragenden Heldentiun Achills, das die kyklischen Epen wenigstens
ebensosehr hervorgehoben hatten wie die Uias, ist es nicht wahr-
scheinlich, daß Paris ihn im Lanzenkampfe überwimden habe. Da
nun die spätere Überlieferung einhellig darin ist, daß ein Pfeil des
Paris ihn getötet habe, so dürfen wir dies für das Epos in Anspruch
nehmen. Es wird das ein alter Zug sein. Nicht umsonst feiert die
Uias den Paris als Bogenschützen. Freilich klingt dieser Ruhm in ihr
nicht stolz. Die Schätzung des ritterlichen Nahkampfes mit Lanze
imd Schwert hat bereits das Ansehen des Bogenschützen merklich
bedrückt: auch Teukros steht niedriger als die Speerkämpfer. Es
ist die Entwickelung des ritterlichen Ehrbegrifiis schon in unserer
Ilias recht vorgeschritten, die schließlich zu einer Verachtung der
Schützen geführt hat, wie sie Archilochos (3) ausspricht Dagegen
werden ältere und gerade mutterländische Helden gern in ihrer
Bogenkunst gepriesen: Odysseus, Eurjrtos, Philoktet, Herakles. Zu
ihnen steht der troische Bogenschütze Alexandres. Seine Sage muß
alt und fest ausgebildet gewesen sein, da er trotz abnehmender
Schätzimg dieser Kampfesart der Bogenschütze blieb. Das wird
nicht wenig beigetragen haben, seinen Heldenruhm zu drücken. Je
mehr die troische Sage zu einem Ritterspiegel umgebildet wurde,
desto verächtlicher erschien der Schütze Paris, der aus dem gewal-
tigen Räuber der schönsten Frau schließlich zum Aphroditeliebling
und Weiberhelden wurde. Aber die Besiegung Achills hat man ihm
Das Zommotrv 253
Achaierlager, keine Rolle spielt Deiphobos findet ihn N 460 hinten
stehend: ,denn immer zürnte er dem göttlichen Priamos» weil der
ihn trotz seiner Trefflichkeit nicht ehrte.* So ganz abgenutzt wie
hier, ist in unserem Gedichte das Motiv noch nicht Aber die Ver-
wendung ist doch schon ähnlich. Neben Hektor konnte Paris nicht
wohl hervortreten. Um ihm also eine gedrückte Stellung, die der
Plan dieser Dichtung verbot, zu ersparen, war es angemessen, ihn
lieber ganz zu entfernen bis zu dem Zeitpunkt, wo Hektors Lauf-
bahn sich ihrem Ende zusenkt imd die seine beg^mnt Es lösen hier,
wie oft in der Ilias, die Helden einander ab. Eigentlich ist immer
nur je ein Heldenpaar Gegenstand der Dichtung, die andern ver-
schwinden, solange das eine das Interesse auf sich zieht Die sich
entwickelnde Kunst der Composition erfand Motive, dies Nachein-
ander zu begründen. Auch diesem Zwecke diente vorzüglich das
Zommotiv. Wie es auf Achill angewendet dem Dichter die Möglich-
keit gab, während Achills Groll andere Achaierhelden kämpfen zu
lassen, so schaffte es, auf Paris angewandt, freie Bahn für Hektor.
Mit hohem künstlerischem Geschick hat nun dieser Dichter aber,
statt seine beiden Helden einfach nacheinander auftreten zu lassen,
derart, daß Paris erst durch Hektors Tod veranlaßt worden wäre,
seinen Groll zu verbeißen und wieder mitzukämpfen, vielmehr schon
vorher den Paris aus seiner Untätigkeit aufgescheucht, er hat Hek-
tor selbst ihn in den Kampf holen lassen, damit er schon zur Stelle
ist, wenn Hektor erliegen wird. So greifen die beiden Kettenglieder
fest ineinander.
Aber noch fester war ihre Verbindung, noch größer die Kirnst
dieses Dichters. Denn dies war der Ausgang seines Gedichtes: Hek-
tor fiel von Achill, Achill von Paris.
Darüber ist ein Zweifel nicht wohl möglich, sobald man erkannt
hat, daß die Linien des erhaltenen Torsos dieses Gedichtes auf eine
Großtat des Paris führen, und man sich die Frage stellt, was denn
die Sage von Paris zu berichten hatte. Soviel wir von troischer
Heldendichtimg besitzen, sei es in ursprünglicher Form, sei es in
abgeleiteten Berichten, sie kennt nur eine einzige Heldentat des
Paris, die Oberwindung Achills. In unserer Dias weissagt sie der
sterbende Hektor (X 359). In der Aithiopis war sie erzählt Auf
diesen Ausgang drängt das Gedicht, aus dem der Verfasser imserer
Tragweite des Eidbruchmotivs 255
buhler eidlich versprochen. Mit feierlicher Heiligkeit wird der Ver-
trag von Agamemnon und Priamos geschlossen. Doch den unter-
liegenden Paris rettet Aphrodite aus Menelaos' Händen, entrückt
ihn nach Ilion, wo sie ihm die widerstrebende Helena zuführt, die
den Kampf mit angesehen hatte, Sehnsucht nach Menelaos im Her-
ren (r 140). Vergeblich sucht der Sieger den verschwundenen Feind.
Da beschließen die Götter den Untergang Ilions und veranlassen
PandarosS verräterisch auf Menelaos zu schießen. Sein Blut fließt,
doch leicht nur ist die Wunde. Den verräterischen Eidbruch zu
rächen, ruft Agamemnon die Achaier auf (A 225 — 249). Weiter ver-
liert sich das Eidbruchmotiv, nachdem es A 270 noch einmal ge-
streift ist (s. oben). Die Diomedie weiß nichts von ihm.
Das ist alles gut auf unsere Ilias eingestellt. Und doch kann das
Eidbruchmotiv nicht von ihrem Verfasser erfunden sein. Denn
es ist auf TA beschränkt. Dieser Erzählung aber gibt es festen Zu-
sanmienhang. Nur deshalb läßt der Dichter so feierliche Eide
schwören, damit sie gebrochen werden. Das leuchtet unmittelbar
ein. Die Centralfiguren der troischen Sage werden in einer sie alle
charakterisirenden Handlung vorgeführt: der übermütige leicht-
sinnige Paris, der rachedurstende wackere Gatte Menelaos, dazu
die Brüder der beiden, Hektor und Agamemnon, und der greise
bereits 1898 oder 1899 mitgeteilt hatte. Ihm also gebührt die Ehre der Vater-
schaft, während mir die Pflicht der Verantwortung zufällt. Das Hauptgewicht
legte und lege ich aber auf die Art meiner Analyse des Z imd den Beweis, dafi
Hektors Abschied mit Paris-Helena organisch zusammengehören als ein ursprüng-
liches tmd einheitliches Kunstwerk. Zu bestätigen sucht das O. Jörgensen, Nordisk
Tidsskrift XX (191 1) 37. M. Valetons Widerspruch Mncmosyne XL (1912) 322 hat
mich nicht tiberzeugt.
^ Welcher Troer den verräterischen Schuß tut, ist ganz gleichgültig. Der Eid-
bruch ist ein poetisches Motiv, Erfindung. E^ würde Adpöavoc dv/|p genügen, wie
CS TT 807 ursprünglich genügt hat für den, der dem Patroklos den ersten Stoß gab
(erst der Verfasser unserer Ilias hat ihn durch die von ihm eingesetzten Verse
TT 8o8~8ii als Euphorbos bezeichnet, um P iff den Zweikampf des Menelaos und
Euphorbos anfügen zu können), wie B 701 ein Adpöavoc dviP|p den Protesilaos tötet
(die Kyprien haben ihn dann Hektor genannt). Natürlich muß Pandaros ein diesem
Dichter und seinem Publicum bekannter Held gewesen sein. Uns ist er nur aus
der Diomedie bekannt. Daß er gerade aus ihr entnommen sein muß, wie Robert
310, 435 will, ist nicht unbedingt notwendig. Gerade das, worauf es hier ankommt,
seine Schützenkunst, ist in der Diomedie nebensächlich.
Priamos bam Eidsckumr 265
dicht ist schwerlich weitergegangen. Es hat sein xdXoc. Der Ver-
fasser unserer Ilias hat es klug an den Anfang ihrer Kämpfe ge-
stellt, lun die Centralfiguren vorzustellen und zugleich die Sicher-
heit des endlichen Achaiersieges zu geben. Er hat es erweitert, in-
dem er sehr verständig auch Helena selbst, den Preis des Krieges,
in ihrer unwiderstehlichen Anmut mit Benutzung der feinen Teicho-
skopie vorführte und sie in ihrer Ehrfurcht gegen Priamos, ihrer
Treue gegen Menelaos, ihrer Verachtung gegen Alexandres zeigte.
Weiter hat er eine Grötterscene eingelegt, um den am Ende des A
angesponnenen Faden weiterzuspinnen, und wie er A 193 den
Achill durch die Achaierfreundin Athene von Gewalttat abhalten
ULßt, so läßt er A 92 den Pandaros durch die Troerfeindin Athene
zum Verbrechen anstiften. Endlich hat er A 190 ff den Menelaos
rasch heilen lassen und dabei zugleich den Machaon vorgestellt, da
er beide for sein weiteres Epos brauchte.
SECHZEHNTES STÜCK
DIE DIOMEDIE
Diomedes' Aristie^ paßt untadelig an die Stelle, an der sie steht
Der Eidbruch fordert Rache. Als ihr Held ist durch die Epipolesis
Diomedes bereits gekennzeichnet. Seine Taten bringen den Troern
die verdiente Niederlage, sogar ihre Götter müssen ihm weichen.
(•-4) bei Absteckimg des Kampfplatzes, beides durch denselben Vers 297*^319
eingeleitet T 351—354 (» 4) betet Menelaos, als er auf Paris die Lanze schleudert,
365 — 368 (»■4) betet Agamenmon, als seinem Bruder das Schwert bricht, beides
mit analogem Vers eingeleitet. Diesem gehen 10, jenem 11 Verse voran. — Der
Eindruck der Verwundung auf Agamemnon und Menelaos A 148— 151 ist ebenso
aufilallend parallelisirt, auch die beiden Ansprachen Agamemnons an die Mutigen
A 333 ff und die Trägen 240 fr.
> Zur Diomedie vgl Koechly, Opusc. I 83 ; Hedw. Jordan, Erzählungsstil (Diss.
Zürich 1904, 15); F. Lillge, Komposition und Technik der Diomedie, G.-Progr. Bre-
a»eD 191 1; E. Drerup, Das fünfte Buch der Ilias, Paderborn 191 3. Ich finde in
den beiden letzten Arbeiten manches bestätigt, was ich über E geschrieben hatte.
Epipolesü und Diomedie 269
kommt bis zum M überhaupt nicht vor imd leistet auch da nichts der
Rede Wertes. Sein Genosse Odysseus (A 329) wird gerade einmal
E5 19 neben den Aianten undDiomed erwähnt: er ermutigt die Achaier.
Außerdem wird er nur noch in der erst nachträglich eingefügten
(s. S. 275) Tlepolemosepisode E 669 ff erwähnt, aber auch da nur
honoris causa, ohne irgend Nennenswertes zu leisten. Nestor, A 293
so hoch gerühmt, ist für die Diomedie nicht vorhanden, erst Z 66
ruft er die Achaier auf.
So ist es mir unmöglich, Epipolesis und Diomedie für das ein-
heitliche Werk eines Dichters zu halten. Auch der scheinbar so
schön zur Diomedie passende Schluß, Agamemnons Ansprache an
Diomedes, geht nicht unbedingt mit ihr zusammen. Denn Sthenelos
spielt im E doch eigentlich nicht die Rolle, die sein stolzes Selbst-
bewußtsein A 405 zu erwarten veranlaßt Agamemnon verschwindet
fisist Und schließlich wiederholt Athene E 804 ff mit fast wörtlicher
Benutzung der Verse A 384 — 390 die Scheltrede Agamemnons in
der nötigen Variation. Man hat es als bewußte Steigerung aufge-
faßt. Das ist in der Tat der einzige Ausweg. Aber es ist ein Aus-
weg aus einer Verlegenheit
Klar hebt sich die Disposition der uns vorliegenden scharf abge-
grenzten Diomedie heraus. Auf eine vorbereitende Gruppe von
Kämpfen, die nach allgemeiner Schlachtschilderung A 42 2 — 456 die
Siege des Antilochos, Aias, Odysseus, Thoas umfaßt, folgen drei
große Scenen. Die erste E i — 453 feiert die Taten des Diomedes,
nach dessen erstem Siege schon die Troer zu weichen beginnen (37),
nur im Anfang 43 — 83 von vier Siegen anderer Achaier unter-
brochen. Nach seiner Verwundung durch einen Pfeil des Pandaros*
rast er, von Athene gestärkt, nur desto fürchterlicher, erschlägt
* Wenn Pandaros E 95 ohne Vorstellung als Auköcvoc ui6c sogar ohne Namen
eingeführt wird, so kann das mit Recht als Zeichen des Zusammenhanges mit A
gedeutet werden. Möglich ist aber auch, daß der Kreis, an den sich der Dichter
der Diomedie wandte, den Pandaros so gut wie den Aineias kannte, die patro-
nyme Bezeichnung also genügend war: so nennt ja A den Agamemnon 7, 12, i6f
(hier sogar auch den Menelaos) nur mit dem Patronymikon, 24 erst wird er mit
Eigennamen benannt
A 505—516 ' E yii—2p2 273
Heere getreten, und sie blieben in der ganzen Diomedie in Aktion.
Hier aber ist ebenso plötzlich wie Rektor Apoll als Schützer der
Troer da, der von der Pergamos herab die Schlacht beobachtet:
weder er, noch dieser sein Sitz waren genannt. Recht verständlich
wird diese Erwähnung Apolls auf der Pergamos, wenn wir sie als
Vorbereitung für die folgende Erzählung fassen. Apoll rettet nämlich
E 433 den von der verwimdeten Aphrodite verlassenen Aineias imd
setzt sich, nachdem er den Troern Ares zu Hilfe gesandt (455), auf
die Pergamos 460. Da ist alles wohl entwickelt So wird der Ver-
fertiger von A 508 (« H 21) diese Stelle im Auge gehabt haben, xmd
der wird kein anderer sein als der Verfasser unserer Ilias. Die Er-
wähnung des Achilleszomes legt das nahe. Denn diesen hier endlich
wieder in Erinnerung zu rufen, hatte er allen Grund. Auch wollte
er wohl seinen troischen Haupthelden Hektor — für die Diomedie
ist er es nicht — anbringen, xmd ebenso Apollon, den e r zum Schutz-
gott Bions macht, und endlich vielleicht noch die lange Reihe der
Einzelkämpfe durch eine Unterbrechung beleben. Schwerlich hat er
sie selbst gedichtet oder für diese Stelle zusammengesucht Sonst
würde sich sein Einschub A 505 — 516 nicht markiren. Auch würde
er doch diese Kämpfe nach Maßgabe des Heldenkatalogs der vor-
aufgestellen Epipolesis ausgewählt haben.
2. E 711 — 792 sind schon von M. Haupt bei Lachmann 107 mit
guten Grründen ausgesondert worden. Sie sollen den Höhepunkt
der Diomedie, seinen Kampf mit Ares, durch das Eingreifen der
Hera und Athene imd die Genehmigung des Zeus glänzend und
feierlich einleiten. Aber die Ausführung ist denn doch gar zu
breit geraten und ganz unselbständig. Schließlich tritt Athene, wie
Zeus angeordnet (765), dem Diomedes zur Seite 793, aber Hera be-
gnügt sich, in Stentors Gestalt die Achaier aufzurufen, wieder mit
Erinnerung an Achill (788). Das verrät den Verfasser unserer Ilias,
der auch diese Gelegenheit benutzt, eine neue Klammer anzubringen,
um r — H mit der Menis zu verbinden. Er verwendet für diese Ein-
lage Material, das er auch for 6 383/384 und sonst benutzt Die
Verbindung von Hera und Athene zu einer gemeinsamen Handlung,
obgleich Hera nichts zu tun hat, erinnert an die Einlage des Ver-
fassers A 195: es kam ihm darauf an, die Achaierfreundschaft auch
der Hera bei jeder Gelegenheit zu betonen. Heras Wunsch 763, den
Bethe, Boomt i8
NHO retardiren 281
gegen die Troer und so harmlos empfänglich für solche Scherzchen
im Menschlich-allzu-Menschlichen auch bei ihren göttlichen Eben-
bildern!
NEO bilden eine untrennbare Einheit. Aber sowenig sie von-
einander, so wenig sind sie auch von den vorhergehenden wie von
den nachfolgenden Büchern zu trennen. Achills Grroll und Genug-
tuimg ist der Pol, um den sich auch hier alles dreht: N 112, 348, 746
{812), E 139, 366, 64, 74flF; Mauer mit Wall und Grraben wird
O I, 344, 356flF ganz in der Weise vorausgesetzt, wie sie H 435 er-
baut sind; an den Mauersturm des M erinnern N 50, 87, 124 (r^ M 455)9
an die im 9 erzählte Niederlage N 745; Asios' Geschick N 390 ist be-
reits M 110—118 vorausgesagt. Auf das Gebot des Zeus 9 7, daß
kein Gott sich in die Kämpfe mische, weisen zurück N 8, 10, 352,
357» 5^5) ^ ^^^y 18. Demnach kann es keinem Zweifel unterlie-
gen, daß der Verfasser unserer Ilias auch NEO in der Form, in der
wir sie lesen, gestaltet hat. Die Rückbeziehungen auf das von ihm
gedichtete 9 allein schon machen das zur Gewißheit
Nun aber ist diese Frage zu stellen: hat dieser Mann erst diese
große Retardation der Handlung eingefugt oder hat er sie schon
vorgefunden und nur erweitert oder sonst bearbeitet? Die Antwort
ist nicht mit der schon gewonnenen Erkenntnis gegeben, daß die
alte Patroklie die Achaiermauer nicht gekannt hat; sie wäre ja auch
ohne diese denkbar. Wir müssen den Aufbau von NEO betrachten.*
Die Erfolge der Achaier im N werden durch Poseidons Auftreten
ermöglicht, dies durch Zeus' ungerechtfertigte Überzeugimg N 8, die
Gotter würden seinem Verbote 1 1 ff gehorsamen. Dies kann nur der
Dichter des 0, der Verfasser unserer Ilias, gemacht haben. Poseidon
ermutiget erst die Aianten, dann N 83 die anderen Achaier, die sich
bei den Schiffen vom Kampf erholen und weinend die Troer über
die Mauer steigen sehen: das knüpft unverkennbar an die letzten
Verse des M an, ebenso wie N 124 ~ M 455. N 91 — 93 werden sieben
Helden genannt, ohne erkennbaren Plan: von ihnen spielen nur Teu-
kros, Meriones, Antilochos, Deipyros alsbald eine Rolle, Peneleos
erst E 487, Leitos gar erst P 601 und Thoas 289. Um die beiden
Aianten schließen sich N 126 zwei Phalangen, deren Schilderung
• Vgl. G. Murray, The risc of the Greek Epik» 10; Vcrral, The Bacchants of
Euripides (1910): the meeting of Idomeneus.
Drei ältere Kampfscenen im N eingearbeitet 285
sicher im SchifFskampf ist, während die beiden ersten Scenen ohne
Situationsangabe sind. Nur die zweite dieser Scenen hat ursprüng-
lich Poseidon als Schützer seines Enkelsohnes Antilochos genannt,
in der ersten und dritten konunt er nicht vor. Man könnte also ver-
muten, daß die Wahl der Idomeneusaristie durch Poseidons Hilfe
im Anfange des N oder umgekehrt herbeigeführt sei.^ Doch das ist
nebensächlich. Von jenen drei Kampfscenen verschiedener Herkunft
sind die beiden letzten zu einer großen geschlossenen Grruppe ver-
einigt 361 — 671, die erste steht allein. In ihr halten Teukros und
die Aianten gegen Hektor stand (183). Das weiß Idomeneus 312
und es veranlaßt ihn, mit Meriones, statt dorthin in die Mitte (312),
auf den linken Flügel zu gehen (225). Daß dort wirklich seine imd
die anschließenden Kämpfe stattfinden, steht zwar nicht in ihrer Schil-
derung 361 — 671, wird aber, wie vorher 325, so nachher 675, 765 ein-
geprägt, wo auch gesagt wird, daß Hektor von der Wendimg der
Dinge auf dem linken Flügel durch Poseidons Hilfe (677) nichts
wußte (674); das stimmt zu 183, 312. Die Siege des Idomeneus imd
der Seinen sind also ermöglicht durch ihre örtliche Trennung von
Hektor imd den Aianten. Diese Anordnimg ist von demjenigen ge-
macht, der jene älteren Kampfscenen dem N eingearbeitet hat Durch
Poseidons Erscheinen werden zimächst die Aianten, dann andere, auch
Teukros und Meriones (Qif), ermutigt So wird ihr Kampf gegen
Hektor 169 — 205 zu Wege gebracht, nachdem Meriones 160 sogleich
entfernt war. Es folgt Poseidons Zuspruch an Idomeneus, dessen
Begegnung und Gespräch mit Meriones, ihr Beschluß, auf den linken
Flügel zu gehen. So wird der dortige Kampf 361 — 671 herbeige-
führt Die Einleitungs- und Verbindungsstücke N i — 168, 206 — 344,
345 — 360 treten deutlich heraus. Sie müssen von einem und dem-
selben Manne herrühren, der eben dies ganze Buch machte. Auch
sie haben gewiß manches Altere benutzt, wie z. B. wohl für Poseidons
Fahrty seine Reden, insbesondere 95 — 124, und für die Unterhaltung
zwischen Idomeneus und Meriones, die wohl dem Bedürfnis nach
einer Pause nicht zum wenigsten ihre Existenz verdankt D. Mülder
* Wie solche durchaus unsinnlich gemeinten Andeutungen von Gdtterhilfe Ver-
anlassung geben, persönliches Eingreifen der Götter hinzuzudichten, hat T. Reibstein,
Lpz. Diss. 191 1 nachzuweisen sich bemüht
Aussonderung der AlOI ATTATH 289
tausches möglich. 393 gehen die Reihen aufeinander los, ein Ver-
gleich schildert ihr Getöse 394 — 401. Auch in diesem Verbindungs-
stücke Z 354 — 401 ist die Hand desselben Mannes, der H i — 156
schuf, imverkennbar: es ist der Verfasser unserer Ilias. Er hat seine
Darstellung mit Anfang N und besonders durch die Einarbeitung
der Aide dirdni Z 157 — 353 darauf angelegt, daß die Achaier die ein-
gedrungenen Troer zurückstoßen. Um diese Erfolge zu schildern,
hat er, wie im N, nun auch im E ältere fertige Kampfscenen ein-
gebaut Ob der Sieg des Aias über Hektor H 403 — 439 dazu gehöre,
soll unten S. 294flF besonders untersucht werden. Sicher ist die sym-
metrisch gebaute Klampfschilderung E 442 — 507 entlehnt Sie ge-
hört mit der Aiasscene nicht zusammen, weil Hektors Fall in die-
sen Versen nicht erwähnt wird, obgleich die Rache für den Gefal-
lenen zur Anknüpfung des folgenden Kampfes dient (449, 459, 477,
487), und weil keiner der hier kämpfenden fünf Troerhelden unter
den 425 den Hektor Schützenden genannt ist außer dem einen Poly-
dama& Den Schluß bildet eine auf die Troerliste N 79if bezügliche
Androktasie 508 — 522.*®
O I folgt wilde Flucht der Troer durch den Grraben aus dem
Lager hinaus. Da erwacht Zeus. Er bedroht 1 7 Hera mit Schlägen
und Folter, wie er 12 jedem Übertreter seines Einmischung^ver-
botes mit Prügel gedroht hatte. Sie schwört, nicht sie habe Posei-
don den Achaiem gesandt (41), wie es der Wahrheit entspricht, denn
er war schon längst imter ihnen, als sie Zeus berückte, und £354
hat Hypnos ohne ihren Befehl den Poseidon benachrichtigt Zeus
schickt sie nun auf den Olymp mit dem Auftrage (55), ihm Iris und
Apoll zu senden, die Poseidon entfernen, Hektor heilen und die
Achaier zurücktreiben sollen, woran er eine weitreichende Prophe-
zeiung knüpft mit Erinnerung an sein der Thetis gegebenes Verspre-
'* Phaikes H 512 00 N 791, Morys, Hippotion £ 51400 N 792, Periphetes H 515
wohl gleich Polyphetes N 791. Die Anlage dieser Androktasie schließt H 516—519
aus: Aias Tel. tötet einen 51 if, Antilochos, Meriones, Teukros je zwei in je einem
Verse 513—515, ,die meisten aber tötete der schnelle Oileide* 520—523. Unmög-
lich kann der Dichter seine Steigerung sich selbst zerstört haben durch 5i6-*5i9:
4er Atride aber tötete den Hyperenor, er stieß ihm in die Eingeweide, seine Seele
floh» Dunkel verhüllte seine Augen.' 516—519 sind nachgetragen, und zwar, um
Meselaos' Behauptung P 24, er habe schon Euphorbos' Bruder Hyperenor erschlagen,
wahr zu machen.
B«lli«, Hom«r I9
Die Prophezeiung des Zeus im 293
TT 63 kann es vielleicht erklären. Aus diesem Verse aber mit Lach-
mann auf ein Gedicht zu schließen, das die Handlung anders gefuhrt
habe^ ist ebenso verfehlt wie sein Mißbrauch des Orakels 6 475.
Das ist wie das ganze 6 als Werk des Verfassers unserer Ilias er-
kannt Die Scene im hat, wie ich schon hervorhob, in der Prügel-
drohung 17 eine direkte Beziehung zu 6 12, auch ihre Prophe-
zeiimg ist jener 6 475 in Veranlassung und Zweck analog, und hier
wie da ist die Ausdrucksweise gerade in ihr nicht ganz zutreffend.
Hier geht Zeus aber sogar über die Ilias hinaus. 69 f soll doch trotz
Lachmann nichts anderes heißen, als daß nach Hektors Tod die
Achaier keine weitere Niederlage erleiden werden, und die Ein-
nahme Ilions durch Athenes Rat deutet auf die Biupersis allgem^jp,
wie es dem Orakelstil entspricht. So weiten Ausblick dem Verfasser
unserer Ilias abzusprechen, sehe ich um so weniger Veranlassung,
als er, wie sich herausstellen wird, auch sonst Beziehungen zum Kyklos
in seine Bias eingearbeitet hat, so die Versammlung in Aulis B 303, so
die Teichoskopie mit der Anspielung auf Antenors Achaierfreund-
schaft, die ihm bei der Zerstönmg Ilions zustatten kommt Den
Schluß der Rede des Zeus 72 — 77 mit der Versicherung: ,mein
Zorn wird nicht eher aufhören, bis Achills imd Thetis' Bitte erfüllt
ist* erklärt sogar Roemer 517 für passend, mir erscheinen diese Verse
notwendig als Abschluß der Überlistung des Zeus: sein Beschluß
wird durchgefährt, auch allen Göttern und Weiberlisten zum Trotz.
Er wiederholt 72/73 sein Verbot, das er 9 7 erlassen hatte und
das mm durchbrochen war, noch einmal: 4ch werde nicht zulassen,
daß irgendeiner der Unsterblichen den Danaem helfe/
Die ganze große Hemmung und Rückstauung der Handlung,
die durch NEO hindurch anhält, so daß sie erst 367 wieder auf
demselben Punkte wie M 471 anlangt, ist durchaus einheitlich nach
einem Plane mit Benutzimg älterer, fertig übernommener Stücke,
insbesondere von Schlachtschilderungen und der Aiöcdirdni H 157 bis
353, aber auch breiten, eigens für diesen Zweck gedichteten Par-
tien vom Verfasser unserer Ilias gemacht Man hat Ursache, die
Durchfuhrung in manchen Pimkten zu tadeln, aber die Einheitlich-
keit des Planes kann man nicht umhin anzuerkennen, und damit
muß man auch die späte Abfassungszeit dieser drei Bücher in vor-
liegender Grestalt zugeben.
Der Sieg des Aüts über Hekior. AlOI AHATH 297
nicht beschützte Brust Lachmann 41 hatte deshalb sehr viel besser
£ 403 mit dem Rückzuge des Aias A 557 verbunden. Aber was
soll da plötzlich Rektors l^iederlage?
Eine Verbindung ist nicht möglich. In jedem Falle wollte ja auch
der Mann, der unsere Ilias, wie sie vorliegt, gemacht hat, keine an-
dere Verbindung, als er gibt Möglicherweise glaubte er den Zu-
sammenstoß der beiden durch die Schlußscene des N genügend vor-
bereitet zu haben und baute darauf, daß sein Publicum diese im Ge-
dächtnis behalten habe. Aber erklärt wird damit nicht, warum er
die Eröffnung des Kampfes E 403 in einer Weise schilderte, die
Aias nur im Rückzuge denken läßt, was er selbst durch seine Er-
zählung doch völlig ausgeschlossen hat, da er eben die Achaier
unter Poseidons Führung vorstürmen ließ (£ 384). Es bleibt nicht wohl
etwas anderes übrig, als anzunehmen, daß er die Anfangsverse
H 403 — 406 aus irgendeiner älteren Rückzugsschilderung entnom-
men habe, wie in der Tat die hier angedeutete Bewaffnung Hektors
nur den großen Kuppelschild ohne Panzer voraussetzt, also vielleicht
auf ältere Zeit führt Daß er aber die Kampfscene £ 407 — 439 für
seine Zwecke selbst verfertigt habe, das bleibt mir doch das Wahr-
scheinlichste.
So ist denn die dirdni Aiöc isolirt Es läßt sich kein Achaiersieg
mit ihr verbinden, Sie muß also wohl ein Einzelgedicht gewesen
sein, wie die Airai, die Dolonie, die Hoplopöie. Auch die letzte hat
zimi troischen Kriege nur eine lockere Verbindung gehabt: es wur-
den eben einmal für Achill auf seiner Mutter Bitte von Hephaistos
Waffen geschmiedet. Ahnlich möchte ich mir die dirdiT) denken. Ein
Dichter hat nach kurzem Hinweis auf den seinen Hörern bekannten
Ratschluß des Zeus, die Troer zu Achills Bestem siegen zu lassen,
seine Überlistung durch Hera geschildert und hat sich imi die Fol-
gen, die dem Gange der Handlung der Ilias widersprechen, nicht
weiter gekünunert. Nicht Kampf und Sieg, sondern Frauenlist imd
die Macht der Aphrodite, denen selbst der Götterkönig nicht stand-
zuhalten vermag, hat den Dichter gereizt imd sein Publicum gefreut
Das Gegenstück ist der Sang des Demodokos von Ares' und Aphro-
ditens Liebe.
Retardaiion Y ^ — ^20 301
mit 526' beginnt die grandiose Schilderung seines Entscheidungs-
kampfes mit Hektor: Achill ist vor Ilion angelangt.
Die Retardation ist zu Ende. Von Y 4 reicht sie bis 520. Mit
dem Zurückgreifen Apolls (0517) auf die von Zeus Y 30 geäußerte
Befürchtung, Achills könne auch gegen das Schicksal Ilions Mauer
zerstören, und mit der Rückkehr der Götter, die Y 31 aufs Schlacht-
feld gegangen waren, ist ihr Abschluß ebenso deutlich gemacht wie
durch das energische Einsetzen des Achill-Hektorkampfes mit 0526,
auf den wir solange schon warten. Der Dichter dieser Retardation
Y0 ist der Verfasser unserer Ilias. Denn nur er kann, wie gezeigt,
die sie eröffnende Götterversammlung Y 5 gemacht haben; die sorg-
faltige Verklammerung der Aineiasepisode mit der Hoplopöie (Y 264
bis 272), des Flußkampfes 5 mit A — Z und Z 336, V 22^ 176, der
Theomachie mit dem E weist auf ihn, auch der Stil des Götter-
kampfes ist der seiner Götterscenen. Und daß er diese ganze Partie
von Y 4 bis 520 gestaltet hat, beweist ihre Composition: Ankün-
digimg der Retardation durch Zeus Y 25? verbimden mit der Auf-
forderung an die Götter, in die Schlacht zu gehen, der ihre Rück-
kehr 520 entspricht, Aufbieten aller Götter, auch der Flüsse
Y 7 zu jener Versammlimg, Vorbereitung der Götterhilfen in Y0
durch die Aufhebung des Zeusverbotes 0, Verkuppelung der Theo-
machie einerseits mit dem Zweikampf des Aineias und Achill durch
Y ii4f 149, andererseits mit dem Flußkampf diu-ch Y 73, 330, 385
und den Lykaon- und Asteropaiosscenen: denn allein um den schicht-
weisen Wechsel in der Benennung des Flusses — bei Asteropaios
heißt er Xanthos 146, bei Lykaon 124 ebenso wie im eigent-
lichen Flußkampf ^222^ 305 Skamander — verstandlich zu machen,
ist Y 74 eingesetzt, natürlich von dem, der diese Scenen vereinigte:
pCanthos nennen ihn die Götter, die Menschen Skamander.'
Kein Zweifel also, daß nur der Verfasser unserer Ilias, der die
Retardation N — gemacht, auch diese in Y0 erdacht und durchge-
führt hat. Um sie zu ermöglichen, hat er die Grötterschlacht erfun-
den. Sie gibt den Rahmen für die eingelegten Kämpfe Achills gegen
Troer imd gegen den Skamandros. Die Anlage ist so durchsichtig,
die Absicht so klar, daß ihre allgemeine Verkennung und Zerstörung
* V. Wilamowitz bei G. Finsler, Homer 597.
Achill und Hektar» Achill und Aineias 305
dem Flusse rettet, wird nicht erzählt, ist hier auch unnötig, da wir
seine Bändigung durch Hephaist hören. Erst O 520 taucht Achill
wieder auf; da ist er schon weit fort im Blachfeld.
Die Handlung ist klar entwickelt, die einzelnen Stücke verschie-
dener Herkunft sind passend eingefügt. Nur an der Aineiasepisode
hat man wieder imd wieder angestoßen, auch ein so entschiedener
Verfechter der Einheit der Ilias wie Rothe (Ilias 304) zweifelt an
ihrer Zugehörigkeit Mir ist ebenso sicher, daß sie ursprünglich ein
Einzelgedicht mit andern Voraussetzungen war, wie daß sie sorg-
faltig vom Verfasser imserer Ilias eingearbeitet ist Daß er sie ver-
standig hier verwendet hat, habe ich schon gezeigt Ihm gehören
die beiden Einleitungsscenen Y 79 — iii und 112 — 155. Erst mit 156
etwa beginnt das Aineiasgedicht, das ursprünglich schwerlich eine
viel größere Einführung gehabt hat: ,in der Schlacht begegnete ein-
mal Aineias dem AchilL' Diese Form war, wie Z 120 zeigt, tjrpisch
für derartige Einzelgedichte. Die beiden Einleitungsscenen verbin-
den die Aineiasepisode mit der ganzen Situation rückwärts sowohl
wie vorwärts. Die erste, Apolls Anfeuerimg 79 — iii, kann nicht
zum Aineiasgedicht gehören, weil dessen Eingang 158, 161 ihn als
mutigen Angreifer darstellt, während er hier verzagt ist 87, und sie
die Rede Achills 187 ff, wörtlich sich anlehnend, vorwegnimmt; sie
gehört dem Verfasser, weil Apoll Zeus' Mahnung Y 25? gemäß han-
delt und seine Verwandlung in Lykaon doch dessen Auftreten O 35
vorbereiten soll. Die zweite, Heras Gespräch mit Poseidon 112— 155,
entfernt die sämtlichen Götter (114 f) b' äjüiubic KaX^caca Gcouc, 149
TToc€ibdu)v KttT* dp* KcTO Ka\ Gcol fiXXoi), die, feindlich getrennt (151),
aich zum Zuschauen niedersetzen: das kann nur der Verfasser der
Theomachie geschrieben haben (Y 5 — 75), während das Aineiasge-
dicht nichts vom Götterkampf weiß. Femer weist Poseidon mit 138 ff
auf die Theomachie O 391 und ihren Ausgang hin: ci hi k* ''Apiic dpxijci
Mdxnc . . • aöriK* ^TrciTa Ka\ fimmi nopauTÖGi vcTkoc öpcTrai cpuXÖTnboc* fidXa
V i&Ka biaKpivG^vrac öiui h\\f l|üi€v OuXujuiTrövbe . . . f)|üi€T^pr|c' uttö x^PcW
dvaTKaiiiq)! bajui^vTac. Warum Hera gerade den Poseidon anredet,
wird erst klar durch das Gegenstück, Poseidons Gespräch mit Hera
Y 291 — 317, das, den Zweikampf unterbrechend, als er fui: Aineias
eine gefahrliche Wendung nimmt, Poseidons Hilfeleisümg motivirt
Daß beide zusammengehören, zeigt das Festhalten der Situation von
Betlie, Homw SO
Zweikampf des Aineias und Achill 307
cht den Schluß gebildet haben als Ansprache Poseidons an den
>n ihm geretteten Aineias. Der Ansatz dazu ist noch mit seiner
ettung jigff in 330 erhalten. Den Schluß hat der Verfasser ge-
acht Sonst übernahm er das Aineiasgedicht, wie es scheint^ unge-
idert. Nur 264 — 268 bzw. 269 — 272 (Dublette) hat er eingefugt,
n an die Hoplopöie zu erinnern, obgleich sie dem Verse 263 jäh
idersprechen. Die Aineiasepisode ist fester dem Zusanunenhange
ngewebt als manche andere der Ilias.
20*
Das vom Verfasser unserer Utas verarbeitete Material 309
Die Art, wie dieser Mann gearbeitet hat, zeigte sich bei der
Analyse. Die einzehien Züge sind nun zusammenzufassen. Seine Ab-
sichten, seine Mittel, sein Erfolg unter einem Gesichtspunkt be-
trachtet, werden ihn verstandlicher machen und ihn ims persönlich
näher bringen. Diesem Ziel würden wir uns noch um ein bedeuten-
des Stück nähern, wenn es gelänge, seine Heimat und seine Zeit zu
bestimmen. Ich glaube, ihn als Attiker des sechsten Jahrhunderts
beweisen zu können. Aber es scheint mir passender, diese wich-
tige Untersuchung im Zusammenhange mit derjenigen über Zeit imd
Ort des Abschlusses der Odyssee und des troischen Kyklos über-
haupt zu vereinigen. Das fünfte Buch soll dem gewidmet werden.
Auch die Darstellung der Technik des Verfassers unserer Ilias
kann erst recht fruchtbar werden, nachdem auf Grund der vorge-
legten Analyse festgestellt worden ist, was er von fremden, älteren
Gedichten vorfand und in sein Werk einarbeitete, und nachdem der
Versuch gemacht ist, herauszubringen, welcher Art, welchen Um-
fanges und womöglich auch welcher Zeit und Herkunft dieselben
gewesen sein mögen.
Das vom Verfasser unserer Dias benutzte poetische Material hat
sich schon bei der Analyse von selbst in zwei Gruppen verschiede-
ner Art zerlegt Auf der einen Seite stehen zunächst mehrere Ge-
dichte, die noch deutlich als einstmals selbständige Kleinepen sich
darstellen, wie die Bittgesandtschaft (I), die Dolonie (K), Agamem-
nons Aristie (A), der Betrug des Zeus (H), die Hoplopöie (L), die Mono-
machie des Aineias imd Achill (Y), die Diomedie(E), die Begegnung des
Glaukos undDiomedes (Z), die Kampfspiele an Patroklos'Grrabe (V),die
Lösung Rektors (Q). Zu ihnen treten hinzu zahlreiche Reste von
Dichtungen, deren Zweck und Umfang sich nicht ohne weiteres be-
stimmen lassen: so der Aufruhr des Heeres mit der Thersitesscene
im By die Teichoskopie im f, der Bittgang der Troerinnen im Z,
Hektors Abschied von Andromache mit Paris imd Helena contra-
«tirt im Z, die Aristie des Teukros im 0, mehr als eine Teicho-
machie im M, femer E 442 — 507, im P die Euphorbosepisode imd
tnderes. Sie alle sollten isolirt, gereinigt und zunächst auf ihre eigene
Absicht imd ursprünglichen Umfang untersucht werden. Versucht
habe ich, diese Aufgabe zu lösen an dem schönen Gedicht, das für
den rweiten Teil unseres Z benutzt ist. Es ergab sich, daß auch dies
£rkenndare Stücke des Menisgedichies in A— -TT 313
schon nahe den ungeschützten Schiffen treibt Zeus die Achaier zu-
rück. Diomedes und Odysseus werden verwundet, auch Aias muß,
von Zeus gedrängt, weichen, er allein steht schließlich, von Speeren
umprasselt, schützend vor den Schiffen.
Die knappe, kraftvolle Schilderung ist durch Zusätze für die
Achaier ruhmreicher und durch Gleichnisse prächtiger ausgestaltet,
vom Verfasser imserer Ilias durch Einarbeitungen zu Rektors und
Menelaos' Ehren einigermaßen mit den von ihm seiner Ilias ge-
gebenen Voraussetzungen ausgeglichen. Für die Menis kommen
nach den Darlegungen im 10. Stück, S. 163 ff etwa folgende Verse in
Betracht, ohne daß jedoch behauptet werden dürfte, sie hätten alle
wortlich so im Menisgedicht gestanden: A 313(311) — 319 + (338) +
369ff..40i— 4 13.. (426)— 460.. (474) -486.. 544— 547+557.. 569— 574.
4-
Achill sieht die Flucht der Achaier, ruft freudig erregt den Pa-
troklos herbei in der sicheren Hoffnung, daß jetzt die Achaier in
ihrer nicht mehr erträglichen Not ihn um Hilfe anflehen werden:
A 600 — 604 + 608 — 610. VgL 9. Stück.
5-
Patroklos tritt weinend zu Achill, erbittet imd erhält die Erlaub-
nis, sogleich zu helfen, aber niu", mn die Troer von den Schiffen ab-
zudrängen, deren erstes eben aufflammt, imd unter der Bedingimg,
dann sogleich umzukehren, damit er den Achaiem nicht die Demü-
tigung vor Achill erspare, sondern sie ihm Briseis zurückgeben und
herrliche Geschenke obendrein. TT 2 — 21 .. 29^ — 39 + 46 — 54 . .
80—90 (vgL unten Anm. 7) + loi — 130. VgL 9. Stück.
6.
Weiter könnte vielleicht die Anrede Achills an die Myrmidonen
TT 198 — 210 zugehören. Der voraufgehende Katalog der Myrmidonen
168 — 197 ist Zusatz, wie längst gesehen, weil die hier Grenannten
bis auf Alkimedon nicht wieder vorkommen und auch dessen Kampf
nicht zugehört. Der Zusatz wäre milesisch, falls Boros 177 wirklich
der Eponym der milesischen Phyle ist' Ebenso ist die folgende
^ Dieser Phylenname in der Inschrift der milesischen Sängergilde (von 448:
Berl. Sitx.-Ber. 1905, 543), verschrieben in Buipßuiv, erkannt von v. Wilamowitz,
Siti.-Ber. BerL Ak. 1904, 622, 2.
Pairoklos im Menisgedicht 317
dacht ist — , in den zweiten seinen Klampf mit Kebriones und seinen
Tod durch Hektor. Man sollte also meinen, die Menis werde, da sie
ebenso disponirt hat, 'dasselbe erzählt haben.
Aber in vorliegender Form ist die Sarpedonscene für die Menis
unmöglich.' Der Verfasser unserer Ilias hat sie erweitert Er hat
TT 509 — 531 eingelegt, um Glaukos' Eingreifen mit seiner M 387 er-
zählten Verwundung auszugleichen, femer TT 470—477, um Patro-
klos' Gespann, dessen eines Roß Pedasos Sarpedon hier tötet, mit
dem Achill wagen gleichzusetzen, den erst er ihm nebst dessen Waffen
gegeben hat: vgL 3. Stück, S. 92ff. Die Entrückimg der Leiche Sar-
pedons, die Lachmann 72 als Zutat beanstandet hat, dürfte älter
sein. Dazu ist die Scene durch kleine Einzelkämpfe ohne Zusammen-
hang aufgebauscht Höchstens könnte also eine kürzere Fassimg der
Sarpedonepisode für das Menisgedicht in Frage kommen. Aber
auch das ist bedenklich. Denn Patroklos fahrt hier zu Wagen TT 427,
467, und der Verfasser imserer Ilias fand das schon vor, da er 470
bis 477 eingefügt hat. Nun kämpft Patroklos aber, wie 3. Stück, S.93
bemerkt ist, zunächst zu Fuß, als er TT 404 den Thestor vom Wagen
wirft und 4 1 1 einen Stein aufhebt Das ist auf dem engen Kampf-
platz an den Schiffen das Gegebene. Und da in der Menis Achill
ihm eingeschärft hatte (TT 87), sofort umzukehren, sobald er die
Troer von den Schiffen zurückgedrängt habe, so ist nicht wahr-
scheinlich, daß sie ihn überhaupt mit einem Wagen ausgerüstet
habe, den er nicht brauchen konnte. Dazu kommt, daß die Sarpedon-
und Glaukosscenen im E und Z lose eingelegt sind, wahrscheinlich^
erst vom Verfasser unserer Ilias, um diese Helden derTeichomachie,
in der sie festsitzen, beizeiten, wie sich gehört, einzufuhren. Aber die
Teichomachie gehört, wie im 7. Stück, S. 1 2off gezeigt, nicht zur Menis,
die von Mauer und Wall nichts wußte. Da also erst der Verfasser
unserer nias die Teichomachie imd wahrscheinlich jene Lykierscenen
EZ eingearbeitet hat, so liegt der Schluß nahe, daß ihm auch erst
der Tod Sarpedons im TT zu verdanken sei, den er ebenso wie jene
* Eine gewisse Analogie gibt z. B. die Eindichtung der Baligantepisode in das
Rolandslied (2525—2844, 2974—3682), die dem eingreifenden Karl noch einen an-
sehnlichen Gegner geben will. Vgl. Aug. Becker, Grdrs. altfin. Literatur 43, wo 46
die Literatur.
•r dnrcA Entfemung Rektors zur Jagd auf das göttliche Gespann
AdiiIbTT864— 866, das er erst dem Patroklos gegeben hatte (3. Stück,
8w 93), möglich macht.
Aber es bleibt der feige Mörder des Patroklos. Den fand der Ver-
bner unserer Ilias schon vor. Er hat also sicherlich die echte Fassimg
des Henisgedichts nicht mehr gelesen, jedenfalls nicht benutzt. Und
es bleibt die Entwaffnung des Patroklos durch ApolL Beides kann
flicht ursprünglich sein. Denn es gibt dem Patroklos einen Glanz,
der den Aias und alle andern Achaier überstrahlt, Rektor kläglich
▼erdunkelt und selbst Achill gefährdet Ist doch Patroklos in der
OkODomie der Dichtung nichts weiter als der Hebel, der Achill aus
•einer grollenden Kampfenthaltung herausheben und dem Hektor
entgegentreiben soll. In der Tat ist seine Entwaffnung durch Apoll
(n 797 — 8o5'+ 81 4 £-{-846) schon von Lachmann als Zusatz erwiesen,
da sie P 133, 187, 205 widerspricht, wo Hektor der Leiche des Pa-
troklos die Waffen auszieht Weiter aber hat T. Reibstein * gezeigt, daß
das Gleichnis TT 823 vom Eber und Löwen, die um das Wasser mit-
einander kämpfen, erst anschaulich wird, wenn es auf Patroklos und
Hektor, die um Kebriones' Leiche kämpfen, wie das 755ff schildern,
* Von diesen hat 796—800 ent der Verfasser unsem Uias eingesetit, da sie
rieb auf doa von ihm ent eingefühne Motir des Waflentauschci (3. Stück) b»
ächco. Ein Beweis, dafi er die Entwaflnung durch Apoll schon vorfand.
* De dos in Iliade inter homines apparentibus, Lpi. Diss. 1911, S. I4f.
Pairoklo^ Tod 321
Klage, daß neben 2^us Apoll ihn getötet habe 845, und dessen £m-
griff ist, wie gezeigt, für das Menisgedicht unmöglich. Nun wäre
denkbar, daß er hier nur allgemein als Schutzgott der Troer genannt
war imd diese Stelle einem Späteren den Anlaß gegeben habe, ihn
tätlich eingreifen zu lassen, wie Reibstein an einigen Beispielen das
gezeigt hat Dazu kommt, daß die letzten Worte des Patroklos denen
des sterbenden Hektor X 355 entsprechen, wie die seinen Tod schil-
dernden Verse 855 — 858 =- X361 — 364 sind Stanmien diese, wie ich
vermute, vom Dichter der Menis, so könnte er ja vielleicht absicht-
lich dieselben Verse auch für Patroklos angewandt haben. Aber da
hier nichts mit Wahrscheinlichkeit ihm zugewiesen werden kann,
schwebt auch das in der Luft.
Es ist peinlich, daß hier, wo Patroklos die Schiffe rettet und
dann durch Hektors Hand fällt, kein Stück des alten Menisgedichts
nachgewiesen werden kann. Aber es ist begreiflich. Der nationali-
stischen Empfindlichkeit gefiel es nicht, daß Hektor nach all seinen
Siegen mm auch noch den Retter Patroklos tötete. Hektors Ruhm
wurde hämisch geschmälert, Patroklos' Taten gesteigert Er mußte
ein Blutbad imter den Troern anrichten, bis unter die Mauern Uions
sie treiben, und auch sie hätte er genommen, wenn nicht Apoll auf-
gepaßt hätte. Der Gott wai^s auch, nicht Hektor, der ihm den Tod
brachte. Und daß er doch wenigstens einen rechten Helden erlege,
wurde sein Kampf mit Sarpedon hier eingefugt, dem Sohn des
Zeus, der ihn retten möchte, wenigstens seine Leiche birgt Je un-
geheuerlicher die Obertreibimgen, je aufgedunsener das Heldentum
des Patroklos in imserer Uias ist, desto einfacher, kürzer werden
seine Taten und sein Tod in der Menis behandelt worden sein. Das
gerade wird diesem Teil des alten Gedichts den Untergang ge-
bracht haben: es war nicht pompös genug.
10.
Der Kampf um Patroklos' Leiche, der P füllt, ist nicht weniger
aufgebläht als seine Aristie. Alles, was mit Achills Rossen und
Waffen zusammenhängt, stammt erst vom Verfasser unserer Uias,
und er hat auch erst Menelaos' Kampf gegen Euphorbos und anderes
zu dessen Ruhme eingelegt, hat auch den Antilochos erst ange-
bracht (4. Stück, S. 100). Damit schnurrt diese Erzählung schon
Bethe, Homer 31
Hektars Tod 325
Resten leuchtend hervorstrahlt, auch der erste Gestalter dieser ge-
waltigen lind erschütternden Scene sein wird.
^CTiiK€i ö* 6 T^P^wv TTpia^oc Gctou dirl irupTOu
4c \i dvönc' 'AxiXfJa TreXiupiov.
So hebt sie an 526. Ich kenne nichts Ähnlicheres an Stil und
Grestaltung als den Anfang der alten Patroklie A 600 aus der Menis,
wo es von Achill heißt:
^CTrJKei Top ^^rl irpu^vQ ^eTaioiTCi vt](,
€icopöu)v TTÖvov aiiTLPV iüüKd Te öaKpuöeccav,
ali|ia ö* ^TttTpov 4dv TTaTpoKX^ea itpoc^eiTrev
96€T£<iM€voc irapä vriöc* ö \ü icXiciiiOev dKOucac
^K^oXe Tcoc "'April, KaKoO \^ äpa oi ir^Xev dpxrj.
Eine zweite Stelle aus demselben Gedicht reUit sich gleichwertig
an, Z 3: der Bote, der Patroklos' Tod melden soll, kommt zu Achill:
TÖv ö' €iip€V TrpoTrdpolOe V€ujv öpOoKpaipäuiV,
TQ 9pov^ovT' dvd Gu^öv S bf| TeTcXec^^va fjev.
öxörjcac b* dpa elire irpdc 8v ^eTaXrJTOpa eufioV
uj ^01 4tu), Ti Tdp auT€ Kdpri ko^6ijüvt€C *Axaiol
VTiuciv firi KXov^ovrai diulöfievoi irebioio;
Es ist dieselbe fast dramatische Technik. Der Dichter stellt hier
den Helden, dort den greisen König auf die Warte. Mit ihnen, durch
sie späht er und läßt auch uns hinausspähen. Er versetzt ims da^
durch sogleich in die Stimmung, die er braucht, ohne lange zu schil-
dem imd zu erzählen. Denn Achills und Priamos' Erregung, Span-
nung, Sorge ist alsbald die unsere. Der Dichter zwingt uns in seine
Personen hinein. Und doch sehen wir sie und ihre Umgebung leib-
haftig vor uns. Ein einziger Vers zeichnet das Bild. Wir sehen das
Schiff, auf seinem höchsten Deck scharf spähend Achill, wir sehen
Patroklos drunten heraustreten aus dem Zelt — ein Wink des Dich-
ters imd wir wissen, er geht einem tragischen Geschick entgegen. Da
ragt Uions Torturm, droben Priamos, wir sehen mit ihm drunten Achill
die Troer jagen, dessen Waffen wie der Unglück bringende Hundsstern
leuchten (X 26): wir wissen, Hektors Todesstunde ist da. Und wir sehen
ihn vor dem Tor den Fürchterlichen erwarten, taub den Bitten des Va-
Schluß des Menisgedichts* Lykaon 333
nicht nachweisbar, aber diese Scene entspricht ihm in ihren Voraus-
setzungen, ihrem Stil, ihrer Stimmimg, ihrer Erhabenheit, die ein-
sam aus der dürftigen Poesie ihrer weiten Umgebung aufragt Auch
sie ist sorgfältig eingearbeitet Wir lesen sie im Flußkampf. O 35
flieht Lykaon aus dem Skamander, Achill erschlägt ihn imd wirft
ihn 120 in den Fluß, der ihn ins Meer tragen soll (125). Das wider-
spricht AchUls Worten 63 ,Stehn denn die Toten auf? Lykaon
habe ich nach Lemnos verkauft, aber das Meer hält ihn nicht, so
soll er meinen Speer kosten, ich will sehen, ob ihn die Erde halten
werde/ Dazu kommt die schon von Zenodot beobachtete Differenz
von 17, wo Achill seinen Speer am Ufer zurückläßt, gegen 65,
wo er ihn hat Die Lykaonscene ist also in einen ihr fremden Zu-
sammenhang eingearbeitet. Das bestätiget ihr Anfang 34fi& Nur 35
und 52 ist der Fluß erwähnt, imd hier ist weitläufig imd nur mit
einer Zutat (Eetion 43) Lykaons Schicksal aus seiner eigenen Er-
zählung 76 ff wiederholt Das alte Stück wird also etwa bestehen
aus 34 + 49 — 51 + 53ff- In Lykaons Rede ist bereits mit Recht
die breite Darlegxmg seiner Abstammung 84—93 als anstößig be-
zeichnet, weil sie zu seiner Absicht, Achills Mitleid zu erwecken,
kaum etwas beiträgt. Zudem wird da auf Polydors Tod Y 407 zurück-
gewiesen, der erst hier zu seinem Bruder gemacht wird. Das ist eine
Klammer des Verfassers imserer Ilias, der in Priamos' Rede X 46
diese seine Erfindung noch einmal zur Verklammerung benutzt
Höchstens 84/85 könnten echt sein, imd sie werden es sein, weil
86 die unnötige Wiederholung des Namens Altes den Beginn der
Einlage zu verraten scheint So hätte Lykaons Rede 74—85 -f 94—96
fünfzehn Verse, ebensoviel wie Achills Antwort 99 — 114. Den
Schluß der alten Lykaonscene machte 119 einfach und würdig.
Sie wäre als Vorspiel imd Gegenstück zu Hektors Todeskampf im
M enisgedicht wohl angebracht
14.
Vielleicht gehört auch die Aristie des Idomeneus N 361 ff dem
Menisgedicht, vgl« A 145, 17. Stück, S. 285 und 21. Stück, S. 343.
Oberblicken wir noch einmal, was sich aus imserer Ilias als Rest
des Menisgedichtes ausscheiden ließ. Achill in seinen reinen Ab-
Keuu Streuwagen. Umfang des Menisgedichts 345
Den Umfang der alten Menis abzuschätzen, bietet ihre im A er-
haltene Exposition mid ihre eben dargelegte fünfteilige Anordnwig
einen gewissen Anhalt So imsicher eine solche Berechnmig auch
notwendig sein muß, so darf doch bei einem so wertvollen Gedichte
— wenn anders sich seine Reconstruction etwa bewährt — ver-
sucht werden, sich mit allem Vorbehalt auch darüber eine imgefähre
Vorstellimg zu machen. Vom A konnten etwa 330 Verse der ^Menis'
zuerkannt werden. Vom zweiten Teil, der Niederlage , glaubte ich
aus A etwa 100 für sie in Anspruch nehmen zu dürfen, die Dio-
medes' imd Odysseus' Verwimdimg und Aias' mühsamen Widerstand
schildern« Kommt der oOXoc dvcipoc, Auszug der Heere und Anfang
der Schlacht hinzu, so wird man etwa 200—- 300 Verse, also ungefähr
die gleiche Grröße für den zweiten Teil annehmen dürfen. Vom drit*
ten, Patroklos' Sendung, haben wir noch den g^rößeren Teil in A 600 £^
TT 2f^ etwa 150 Verse, zu denen noch weitere 50 auf Ausfüllung der
Lücken gerechnet werden mögen. Für Patroklos' Sieg, Tod und
den Klampf um seine Leiche weiß ich keine Zahl anzugeben, setze
dies Stück etwa dem zweiten oder dritten Teil gleich. Von Achills
Taten hat die Lykaonepisode (?) ungefähr 60 imd vom Kampf mit
Hektor nebst Klagen der Eltern möchte ich etwa 150 Verse der
Menis geben, zu denen rund 50 zuzuzählen wären. Rechnet man
auf die Rettung der Patroklosleiche und Verbindungsstücke noch
100 Verse, so würde der Schlußteil auch auf rund 300 Verse zu
schätzen sein« Die Menis würde demnach ungefähr auf 1400 Verse zu
berechnen sein« Das würde dem relativ sichersten Ansatz ihrer Exposi-
tion(i)mit 330 Versen bei Einteilung des Gedichts in fünf Akte— 1500
Versen etwa entsprechen. Die ganze Menis würde also etwa die-
selbe Größe gehabt haben wie unser AB mit 1485 oder AE mit 1454
oder ZH0 mit 1574, während TTP mit 1630 Versen schon über sie
hinausgehen würde.
Nach den Erfahrungen des modernen Rhapsoden Wilhelm Jor-
dan (Kunstgesetz Homers und die Rhapsodik 1869) können in ly,
Stimden je nach der Akustik des Saales 900 bis 1450 Verse vor-
getragen werden, während E. Drerup (5. Buch der Ilias 191 3, S. 50)
für 1000 Verse etwa zwei Stunden schätzt Im Megaron vor be-
schränktem Zuhörerkreise wäre demnach der Vortrag des ganzen
Menisgedichts in zwei Stunden wohl möglich. Man darf also sagen,
Kleinepen im Anschluß an die Menis gedichtet 349
gründe gelegt und es der Nachwelt vererbt Nichts aus der ganzen
Homerischen Poesie ist ihm vergleichbar an Kxaft der Gestaltung
and an Wucht der Wirkimg. Es wurde der Kern unserer Dias.
Die Litai sind ein leuchtender ELristall, aber dieser konnte nur
an dem Kerne aufblühen, den die Menis gegeben hatte. Es war ein
selbständiges Einzelgedicht, aber seine Entstehung, sein Vortrag, sein
Verständnis war nur möglich in einem Kreise, dem das Menisgedicht
vertraut war. Mögen noch so viele Heldentaten von Achill erzählt
worden sein, daß er den Achaiem und Agamemnon gezürnt und
zürnend dem Kampf entsagt imd sie den nun überlegenen Troern
preisgegeben habe, das hatte Dichterphantasie geschaffen, das Menis-
gedicht unter die Menschen getragen. Dessen Kenntnis setzte der
Dichter der Litai bei seinen Hörern voraus. Sie mußten wissen, daß
und warum Achill dem Agamemnon zürnte, wenn er ihnen erzählen
kannte, daß eine Sühngesandtschaft zu ihm kam. Sie mußten auch
wissen, daß Achill schließlich ohne Sühne und ungebeten den Achai-
em das Verderben abgewehrt hatte, um das Gedicht, um gar die
Phoinixrede mit der Meleagergeschichte recht verstehen zu können.
Die Lytra machen solche Voraussetzimgen nicht unbedingt, wenn
die Sage Hektors Tod durch Achill gab — seine Schilderung war
selbstverständlich. Aber daß der Dichter das Motiv aus X 415 ent-
nahm, hat schon Lachmann gesehen. Sie waren also von der Menis
angeregt (vgl S. 324).
Die Teichomachie ist als Einzelgedicht nicht mehr faßbar, muß
es doch aber wohl ursprünglich gewesen sein. Denn in die Menis
selbst war sie nicht einzupassen, da diese keine Mauer kannte. Aber
sie setzt dies Gedicht voraus, das erst die Bedräng^ung der Achaier
bei ihren Schiffen als Folge des Achilleszomes erdichtet hatte.
Hektors Abschied und die zugehörige Paris-Helenascene (Z 314
bis H 7) weisen jetzt keine Verbindung mit der Menis auf — haben
sie sie gehabt, so wird sie nur locker gewesen sein — , aber abhängig
war dies Gedicht doch von ihr. Denn der Abschied des Helden,
der allein Ilion schützt, von seinem Weibe ist aus der Stimmung
seines Todeskampfes und der Warnungen und Klagen seiner Eltern
heraus geboren. Daher die Anklänge Z 442a-X 105, Z 452ff'^X 423ff.
Hektors Abschied hat dann wieder Andromaches Klage, wie es
scheint, die dem Schlüsse der Menis X 437 angehängt wurde, gezeugt,
Der Verfasser unserer Utas und seine Absicht 353
sammenhang herzustellen, und auch für sie ist, wo es irgend möglich
war, älteres Material benutzt. Er hat gar nicht den Ehrgeiz gehabt^
etwas Neues zu schaffen, sondern das Überlieferte gab er weiter,
wie seine Zunftgenossen das auch taten. Nur in einem ging er über
sie hinaus, und dadurch wurde er ein Neuerer von größter Wirkung.
Nicht nur von Tag zu Tag und von Mimd zu Ohr überlieferte er die
alten Poesien, auch nicht bloß schrieb er dies und jenes auf oder
änderte es nach seinem oder seines Publicums Greschmack, sondern
erfaßte den Plan, das Menisgedicht aus der Fülle, zu der es aus-
gewachsen war, heraus zu erneuern, wieder ein geschlos-
senes Ganzes zu schaffen, sozusagen eine neue Auflage der
Menis in erweiterter Bearbeitung/ Er wird vielleicht nicht das
klare Bewußtsein gehabt haben, daß er, um die überkommenen Schätze
festhalten imd vererben zu können, ihnen einheitliche Form, Rahmen
und Halt geben mußte, aber er hat jedenfalls das Richtige getan; er
baute aus dem Altbekannten, Wohlbewährten ein umfassendes einheit-
liches' Epos auf, durch seinem Umfang weithinausgehend über die Be-
dürfhisse des mündlichen Vortrags am Mahl oder Fest, von Anfang
an ein literarisches Werk, bei Geburt schon unmöglich ohne schrif^
liehe Aufzeichnimg, und einmal geboren dem Verderben preisgege-
ben ohne das Buch und seine Erhaltung. Ganz und gar aus uralter
Tradition langgeübten mündlichen Vortrages und seiner unmittelbaren
Wirkung hervorgegangen, ist unsere Ilias doch als Schrift-
werk concipirt, von einem Schriftsteller ausgearbeitet und
allein durch die Schrift überliefert^
Unsere Ilias ist der Abschluß der Homerischen Poesie. Im münd-
lichen Vortrag ist sie aufgewachsen und entwickelt Die Bestanct
teile unserer Dias entsprachen vor ihrer Einarbeitung, so weit faßbar,
alle diesen Bedingungen an Inhalt und Umfang. Rhapsodenvorträge
an Götterfesten mußten sich, was den Umfang betrifft, etwa den-
selben Grenzen fügen, da die Natur sie auferlegt Agone, die sich
^ Diese Erkenntnis, daß die Ilias die Menis erweitert, entspricht also den For-
derungen, die Ker und Heusler (Lied und Epos in germ. Sagendichtung 1905)
aufgestellt haben: nicht aus vielen einzelnen Liedern kann das Epos zusammen-
gesetzt sein, wie Lachmann meinte, sondern es ist erweitert. Elrweitert freilich
durch andere Einzelgedichte. Vgl. Rothe, Berl. Akad. 1909, 649.
• Vgl. L Buch. I. Stück. S. 13.
Bethe, Homer 23
Systematische Verklammerung der einzelnen Teile 361
die sorgfältige Arbeitsweise des Verfassers zu zeigen. Besonders
fein ist die Vorbereitung der Aktionen, sowohl der Gotter durch
den an Zeus' Versprechen angeknüpften Zank der Hera A 53iflF, wie
des Nestor durch seine Einmischung in den Streit des Achill und
Agamemnon A 247 ff« Auffallender ist der Hinweis auf die reich-
lichen Sühnegeschenke, die Achill im I angeboten und im T wirk-
lich gegeben werden, durch Athene A 212 — 214. In den folgenden
Büchern kam es darauf an, den Zusammenhang mit Achill trotz
allem einigermaßen aufrechtzuerhalten. Zu dem Zwecke legte der
Verfasser schon am Ende der Thersitesrede die Verse B 239 — 242
ein (vgL S. 209) und ließ B 377f den Agamemnon seinen Zank mit
Achill kurz erwähnen. Im Schiffskatalog B 771 — 779 das Bild des
harrenden Achill und seiner müßigen Mannen. A 5 1 2 ermuntert Apoll
die weichenden Troer: Achill kämpfe nicht mit, der sitze grollend
bei den Schiffen (vgl. S. 272). Ahnlich E 788: »solange Achill mit euch
kämpfte,* ruft Hera den Achaiem zu, ,kamen die Troer nie aus ihren
Toren, jetzt kämpfen sie an euren Schiffen.* Z 99 fordert Helenes
den Hektor auf, die Troerinnen zu Athene beten zu lassen, daß sie
die Stadt vor Diomedes schirme; denn so wie ihn hätten sie nicht
einmal den Göttersohn Achill gefürchtet (vgl. S. 225). H 228 — 230
(229f a» B 77 1 f) sind den Worten des Aias eingefügt, als er zum Zwei-
kampf mit Hektor antritt: ,jetzt wirst du erfahren, was für Helden
unter den Danaem sind [228 — 230 auch nach Achill, der grollend
bei den Schiffen lieg^], zahlreich sind wir, die wir dir entgegentreten
möchten; nun beginne der Kampfe (vgL Düntzer, Hom. Abhdlg. 264).
Alle diese Stellen sind, wie der Zusammenhang lehrt, eingeschoben.
Ihr Zweck ist derselbe und ist offenkimdig. Wer anders als der Ver-
fasser imserer Ilias kann sie gemacht haben? Solche Erinnerungen
an Achill erschienen ihm auch in der langen Schlachtschilderung
zwischen Achills letztem Auftreten A 600 und TT i mit Recht not-
wendig. So hat er N 1 1 2, E 50 noch Rückweise auf Achills Zorn
angebracht^ Nicht weniger lehrreich sind die zahlreichen Erwäh-
nungen der Mauer des Schiffslagers bis ins Q hinein und die sorg-
fältige Vorbereitung und Durchfuhrung des Waffentausches. Beide
habe ich eingehend im 3. und 7. Stück behandelt und die Arbeits-
' VgL Wecklein, Studien zur Ilias, Halle 1905.
Hera. Athene, Aphrodite. Apoüon 365
Achaiem die Pest bringt, ist er zu ihrem Feinde gemacht worden.
Der Dichter der Menis hatte hier von einer Parteinahme Apolls nichts
angedeutet: er ist der Pestgott, also muß er schießen« gleichgültig
auf wen. Da aber auch die Troer einen göttlichen Schützer haben
mußten, wenn die Achaier Helfer wie Hera, Athene, Poseidon hat-
ten, so wurde diese zufällige Verwendung Apolls im Interesse des
Chryses als Feindschaft gegen die Achaier gedeutet und ausgenutzt
Daß ihn die Homerischen Dichter als Asiatengott betrachtet hätten,
trifft also nicht zu.^
Hatten also technische Rücksichten dazu gefuhrt, den streitenden
Achaiem und Troern Götter, wenn auch nicht zu Gönnern oder Feinden,
so doch gelegentlich zu Helfern und Lenkern ihrer Geschicke zu ma^
chen, so ist dem Verfasser unserer Ilias dabei klar geworden, daß er
mit diesem technischen Hilfsmittel zugleich ein himmlisches Wider-
spiel zimi troischen Kriege gewann und ihn durch tätige Teilnahme
aller Götter für Achaier wie Troer zur größten weltbewegenden Be-
gebenheit machen konnte. Ist ihm auch die Zeichnung der Götter
nicht erhaben gelungen, wollte er sie auch nicht immer erhaben, wie
er denn unverkennbar ihr gelegentlich Humor einmischt, die Wirkung
dieser gegeneinander arbeitenden Götterpeu-teien ist doch unleugbar
großartig. So packend ist sie, daß alle Epiker ihm auch darin nach-
gefolgft sind. £r hat ihnen den Götterapparat zwar nicht geschaffen,
aber großartig ausgebildet, so daß er fortan als unentbehrliches Kunst-
mittel des hohen epischen Stiles galt
Die Heldenliste unserer Ilias ist gegenüber der des Menis-
gedichts sehr bereichert Das war eine notwendige Folge der Auf-
nahme der zahlreichen Einzelgedichte und der Benutzung von Stücken
anderer Epen, die z. T. zur Menis in keiner Beziehung gestanden
hatten. Am klarsten zeigt sich das an der Dolonie, deren Eponym
und Rhesos nur hier erscheinen, bei letzterem geschickt motivirt
Meist hat aber der Verfasser imserer Ilias, sorgsam wie er war, die
" V. Wilamowitz» Herrn. XXXVIII (1903) 575 geht von dieser Behauptung
aus, um die asiatische Herkunft Apolls wahrscheinlich zu machen. Diese These
gilt vielen als bewiesen. Ich zweifle heute wie damals.
Heldenliste unserer Utas 367
Manche Beobachtung der Art läßt sich noch machen. Es genügte,
sie anzudeutexL Ich wende mich einem anderen Kunstgriff des Ver-
fassers unserer Ilias zu. Er benutzt ihre überkommenen Helden, sie
leicht umgestaltend, um motivirende Verbindungen zwischen Scenen
verschiedener Herkimft herzustellen. So macht er den troischen
Helden Helenos, der M 94, N 576, 582, Q 249 als Kämpfer erscheint,
zum Sehfer, lun Z 73 — 1 18 den Hektor aus der Schlacht in die Stadt
zu schicken, mn den Bittgang der Troerinnen Z 2375 und das
schone Stücke das Paris und Helena dem von Andromache scheiden-
den Hektor gegenüberstellt Z 3i4ff, 391 ff, einfugen zu können und
um H 44 Waffenstillstand zu gebieten und Hektors Zweikampf mit
Aias anzubringen (vgl. 14. Stück).
Ahnlich benutzt er den Polydamas, der M 210 als abmahnender
Vogelzeichendeuter dem mutig seiner Pflicht folgenden Hektor fein
gegenübergestellt ist, im Z 249, um Hektors Selbstvertrauen zu lau-
tem Obermut zu steigern und ihm so X 100 den rechtzeitigen Rück-
zug ins Stadttor vor Achill unmöglich zu machen.
Am glänzendsten aber hat er sich in der geschickten Verwen-
dung Nestors bewährt. Erfunden hat er diese ehrwürdige Gestalt
nicht, hat er doch sicher 6 80 ff ein Gedicht benutzt, das von der
Rettung des Alten aus Kampfesgefahr erzählt hatte." Er hat mm,
wie dem Hektor den Helenes und Polydamas, so den Achaiem die-
sen weisen Greis gesellt, um durch seinen begütigenden Zuspruch
und klugen Rat Unvereinbares zu vereinen. An den beiden kritischen
Punkten der Ilias spielt Nestor seine große Rolle, am Anfang des I,
um dieLitai einzufuhren, imd A 597 ff, um die Patroklie vorzubereiten.
Ich habe im 5. Stück, S. 105 hinlänglich dargelegt, daß die Litai die
Entwickelung zersprengen. Dies schöne Einzelgedicht dennoch an-
*• V. Wilamowitz, Berl. Akad. Sitz.-Bcr. 1910, S. 388 und oben 5. Stück, S. 109 ff.
Nestor wird A 247 ff vorgestellt. Schon das zeigt, daß er nicht zum alten Bestände
gehört. Denn kein anderer außer der nur für den einen Zweck eingeführten Neben-
figur des Sehers Kalchas A 69 und den Herolden A 321 wird im A vorgestellt,
weder Achill noch Agamemnon, Menelaos, Helena, Odysseus, Aias, Idomeneus»
Patroklos, noch Hektor, ja es wird nicht einmal der Schauplatz genannt: so be-
kannt ist das alles dem Kreise, für den die Menis gedichtet ist. Diese Beobachtung
ist auch sonst fruchtbar. Z. B. wird Sarpedon E 470, 478 vorgestellt, 2 395 Andro-
mache» O 381 Thoas usw.
/. Wori' und Sadweneiehms
371
Hdctor und Andromache
334.
— Abschied 225, 349.
— Besuch bei Helena 232.
— Besuch bei Paris 225.
— und Diomedes 163.
— und Polydamas 133.
Heldenlied 33.
Heldenlieder» serbische 39ff.
— strophische 41 ff.
Heldensage in Prosa 43.
Helena 248, 256.
— von Iris geholt 258.
Helenaepisode 225.
Helenos 224, 225, 367.
Hemmung der Handlung
280.
Hera 288.
— und Athene 273.
im A: 199.
Heraklesschild 291.
Hesiod 6.
— frg. 17 Ri«: 8
— Helenafreier 8, 52.
— scut Her. 9, 28.
Hexameter» Cäsuren 37 ff.
— sangbare 32 ff, 37.
Hildebrandslied 27, 35.
Homer. Hymn. I: 179.
— Hymn. 1 I46ff: 6.
— — I is6ff: 49
— — XXV: 51.
— Margites 36.
Hoplopöie 86.
Hypothet. Obergangsfor-
mel 163, 275.
Idomeneusaristie 284.
üias, Abwechslung 148.
— Composition 359.
— Exposition 64 ff.
— Gleichmaß ihrer Teile
359.
— Gliederung 61.
— Gdtterapparat 362.
nias, Heldenliste 365.
— Klammersystem 36a
~ Menis ihr Gerüst 354.
— Nationalistische Ten-
denz 59, 355.
— Nestor als techn. Mittel
198.
— Plan 198.
— als Schriftwerk 353.
— Sorgfalt ihres Verfassers
357.
— WeibUchkeit 368.
Ilias parva 231.
IXiov 291.
Dions Fall 211.
Iliupersis 212» 258, 293.
Improvisation bei Homer
352.3.
Iris holt Helena 258.
Kalchas 211.
Kataloge 21a
Kebriones 320.
Klammem 19a
— E 711—792: 273.
— A 47—55: 136.
— M 87—107: 134.
— X 45—55: 3*8.
— Nestorscene 112.
Kleinepen 351.
— vor der Ilias 35.
Koon 162.
Korinna 42.
Kyklos 293, 356.
Kyprien 212.4, 231, 258.
Lexicon Vindob. 273: 51.
Liedstil 346.
Atrai 199.
Lykaon 328, 332.
Lytra 349.
Machaon 144!
Nfärchen 32.
— und Odyssee 33.
— in Prosaform 33.
Sdauerban (H 436) 215.
Meleagerepos 252.
Memnon iio.
Menelaos 100—103, >^
284.
— verwundet 257.
Menestheus 268.
— N 685—700: 286.
Menisgedicht 31a
— berühmt 348.
— Composition 347.
— Dichter, persönficiies
Hervortreten 154«
— dramatische Technik
325r 339.
— Exposition 21 1«
— Gleichnisse 340.
— Götterapparat 342.
— HeldenÜste 343.
— Kürze 339.
— Liedstil 346.
— Streitwagen 343.
— Symmetrie 337, 347.
— Überarbeitungen 337.
— Umfang 345.
Meriones 282, 284.
Modemismen, sprachliche
296 u. Nachtrag S. IX.
Motiv der Rache 336.
— des Zornes 252, 336^
Nationalistische Tendens
355.
Nationalstolz 211, 276, 280,
338» 356.
Nestor 146, 198, 206, 287,
367.
— im A: 112, 196, 197.
— in den Litai 115.8.
— s Rat 144.
— s Rettung 109.
Odyssee u. Märchen 33.
Odysseus i67f, 207, 212,
269.
Odysseos-Eoie 8.
34*
374
IL Stellenoerzeichms
Seite
Seite
Seite
Seite
A 600—61 1
170
£ I
287
TT 80—90 139
T 71 ff.
"9.357
608—610
157
I— 152
135. 143
91-94 I59.S.319
369—424
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72
160—352
288
97—100 I59.S
Y 41—53
158
141
28
618—643
148
303
296
103 202
656—803
144
403—406
297
114— 121 29
^
668—761
148
403—439
289, 294
119 202
^ 34ff
333
776—790
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333. 335
794—803
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296
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X 25
337
794—808-
I
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56-63
64-77
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75—77
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301, 274
291
291
393
290
395 f
143» 145
144
236 203
45-55
338
n36— 45 144
839 144
Mnie Einzelge-
dicht 132
88—107 I32ff
357—393 314
284ff 314
286 315
364—382 140
467 93
470—477 317
59ff
65-76
93
93—95
97—347
166—188
339
339
330
341
330
330
200 — 250
437 ff
133
29
509—531 140.317
686—691 316
309ff
350—273
330
330
734—750 3«>
315
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315
796—800 85
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N I— 168
285
2—20
156
830—842 330
405—437
331
169 — 205
206—343
284 f
285
7—10
21—45
341
156
P 125—137 322
760 136
437-514
333
334
345-360
285
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145
31
174
361
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I 3 137.314,325
443—447
141
361—580
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3—14 139
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142
63
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3
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142
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437—443 89
» 375
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444-456 88.291
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